Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung für Zwangsarbeiter; Prozesskostenhilfe
Beteiligte
Rechtsanwalt Peter-Jochen Kruse |
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die 1922 in der Ukraine geborene und auch heute dort lebende Beschwerdeführerin wurde nach ihren Angaben im Jahre 1942 in einem Sammeltransport aus ihrer Heimat nach Deutschland verbracht, wo sie bis zum Kriegsende 1945 als Zwangsarbeiterin in einem Betrieb der S. AG eingesetzt war.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin zum einen gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für eine zivilrechtliche Klage, mit der sie die S. AG auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von rund 45.000 DM in Anspruch nehmen wollte. Darüber hinaus richtet sich die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” vom 2. August 2000 (BGBl I S. 1263) – im Folgenden: Stiftungsgesetz –.
Die Beschwerdeführerin macht insbesondere geltend, der in § 16 Abs. 1 Stiftungsgesetz geregelte Ausschluss etwaiger weitergehender Ansprüche verletze sie in ihrem Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts richtet, hat die Beschwerdeführerin die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG versäumt. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs, durch den die von der Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren erhobene „weitere Beschwerde” als unzulässig verworfen wurde, ist für den Lauf der Monatsfrist unbeachtlich. Denn eine gerichtliche Entscheidung, die ein Rechtsmittel als unzulässig verwirft, setzt die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde nur dann neu in Lauf, wenn das Rechtsmittel nicht offensichtlich unzulässig war. Offensichtlich unzulässig ist ein Rechtsmittel dann, wenn der Rechtsmittelführer nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre über die Unzulässigkeit nicht im Ungewissen sein konnte (vgl. BVerfGE 28, 1 ≪6≫).
Letzteres ist vorliegend der Fall. Gemäß §§ 567 Abs. 4 Satz 1, 568 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist gegen Beschwerdeentscheidungen der Oberlandesgerichte im Prozesskostenhilfeverfahren eine weitere Beschwerde ausgeschlossen. Die Rechtsprechung lässt zwar in Fällen „greifbarer Gesetzwidrigkeit” eine im Gesetz nicht vorgesehene außerordentliche Beschwerde zu. Eine solche – über den Gesetzeswortlaut hinausgehende – Anfechtbarkeit kommt aber nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht, wenn der angegriffene Beschluss jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd, d.h. mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist (vgl. z.B. BGH, NJW 1993, S. 135 ≪136≫; NJW 1998, S. 1715; NJW-RR 1999, S. 1585; Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl., 2001, § 127 Rn. 42).
Im vorliegenden Fall konnte die Beschwerdeführerin nicht damit rechnen, dass der Bundesgerichtshof diese engen Voraussetzungen und damit die Zulässigkeit des Rechtsmittels bejahen würde. Das Oberlandesgericht hat die von der Beschwerdeführerin gegen den – nicht vorgelegten – erstinstanzlichen Beschluss des Landgerichts erhobene Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, für die beabsichtigte Klage sei ein Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr gegeben, weil die Beschwerdeführerin zur Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Stiftungsgesetz berechtigt sei und gleichzeitig nach § 16 Abs. 1 dieses Gesetzes mit allen etwaigen Ansprüchen gegen Dritte ausgeschlossen werde. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist damit nicht „inhaltlich dem Gesetz fremd”, sondern entspricht vielmehr der – ihrem Wortlaut nach eindeutigen – gesetzlichen Regelung des § 16 Abs. 1 Stiftungsgesetz. Inwiefern der Umstand, dass das Oberlandesgericht die von ihm angewandte gesetzliche Regelung für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtete, zu einer „greifbaren Gesetzwidrigkeit” der Entscheidung führen könnte, hat die Beschwerdeführerin weder dargelegt noch ist dies sonst ersichtlich. Entsprechendes gilt für den Einwand der Beschwerdeführerin, das Oberlandesgericht hätte eine schwierige, bislang noch nicht geklärte Rechtsfrage im Prozesskostenhilfeverfahren „durchentschieden”. Die Beschwerdeführerin hat weder in nachvollziehbarer Weise dargetan, inwiefern die durch das Oberlandesgericht erfolgte Auslegung und Anwendung des § 16 Abs. 1 Stiftungsgesetz Fragen aufgeworfen haben könnte, deren Klärung unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgleichheit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten gewesen wäre (vgl. hierzu BVerfGE 81, 347 ≪358 ff.≫), noch, woraus sich in diesem Zusammenhang eine – über die bloße Fehlerhaftigkeit hinausgehende – „greifbare Gesetzwidrigkeit” des Beschlusses ergeben sollte.
Die Beschwerdeführerin konnte somit nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre nicht im Unklaren darüber sein, dass mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts der Rechtsweg im Prozesskostenhilfeverfahren erschöpft war. Die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG begann daher mit der Zustellung dieses Beschlusses an die Beschwerdeführerin zu laufen und war im Zeitpunkt des Eingangs der Verfassungsbeschwerde bereits abgelaufen.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs richtet, ist sie zwar fristgerecht eingegangen, ihre Begründung genügt aber nicht den Anforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG. Die Beschwerdeführerin hat nicht dargelegt, inwiefern sie gerade dadurch, dass der Bundesgerichtshof die Zulässigkeit des nach der Zivilprozessordnung nicht vorgesehenen Rechtsmittels verneint hat, in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt sein könnte.
2. Die unmittelbar gegen das Stiftungsgesetz gerichtete Rechtssatzverfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beschwerdeführerin nicht in einer den Anforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG genügenden Weise dargelegt hat, dass sie durch dieses Gesetz, insbesondere die Regelung des § 16 Abs. 1, aufgrund der sie sich ihrer privatrechtlichen Forderungen gegen die S. AG „beraubt” sieht, in ihren Grundrechten verletzt sein könnte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fallen unter den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG im Bereich des Privatrechts grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf (vgl. BVerfGE 83, 201 ≪209≫; 101, 239 ≪258≫). Damit schützt die Eigentumsgarantie nicht nur dingliche oder sonstige gegenüber jedermann wirkende Rechtspositionen, sondern auch schuldrechtliche Forderungen (vgl. BVerfGE 42, 263 ≪293≫; 45, 142 ≪179≫; 83, 201 ≪208≫). Dieser Schutz bezieht sich allerdings nur auf solche Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen (vgl. BVerfGE 68, 193 ≪222≫ m.w.N.).
Die Beschwerdeführerin hat nicht plausibel dargetan, dass sie von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte vermögenswerte Rechtspositionen in dem genannten Sinne innehat, die von dem Stiftungsgesetz zu ihrem Nachteil beeinträchtigt werden. Ihrem Vorbringen kann nicht in nachvollziehbarer Weise entnommen werden, dass ihr tatsächlich im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Stiftungsgesetzes anderweitige Entschädigungsansprüche zustanden, die ohne die Regelung des § 16 Abs. 1 Stiftungsgesetz durchsetzbar gewesen wären.
Angesichts dessen, dass bislang keine einzige rechtskräftige Entscheidung deutscher Gerichte bekannt ist, die den Anspruch eines Zwangsarbeiters für begründet erachtet (vgl. BTDrucks 14/3206, S. 17; Hahn, NJW 2000, S. 3521 m.w.N.), hätte es der – anwaltlich vertretenen – Beschwerdeführerin im Rahmen der Begründungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG oblegen, unter eingehender Auseinandersetzung mit der anderslautenden Rechtsprechung darzulegen, dass ihr das Stiftungsgesetz nicht erstmals auf neuer juristischer Grundlage individuelle Ansprüche zuerkennt (so ausdrücklich Hahn, a.a.O., S. 3521 f.), sondern in bereits bestehende und noch nicht verjährte Rechtspositionen eingreift.
Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde schon deshalb nicht gerecht, weil sich dem Vorbringen der Beschwerdeführerin weder in nachvollziehbarer Weise entnehmen lässt, auf welche Rechtsgrundlagen sie die behaupteten Ansprüche stützt, noch, ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für diese Ansprüche erfüllt sind. Substantiierte Angaben zu dem konkreten Fall fehlen nahezu vollständig. Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, die – nicht näher spezifizierten – Ansprüche könnten nicht verjähren, sind ihre Ausführungen weitgehend nicht nachvollziehbar und mit der fachgerichtlichen Rechtsprechung nicht vereinbar (vgl. BGHZ 48, 125).
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 585072 |
NJW 2001, 2159 |
VIZ 2001, 364 |
DVBl. 2001, 1209 |