Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 24.11.2000; Aktenzeichen 6 U 178/00) |
LG Oldenburg (Urteil vom 21.06.2000; Aktenzeichen 5 O 904/00-94) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft zivilgerichtliche Entscheidungen über die Herausgabe von Geschäftsunterlagen, die im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vorläufig sichergestellt wurden.
I.
Im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer der Beschwerdeführerinnen ordnete der Ermittlungsrichter die Durchsuchung seiner Wohn- und Geschäftsräume an; die Beschwerdeführerinnen wurden in dem Beschluss nicht erwähnt. Bei der Durchsuchung wurden zahlreiche Unterlagen, darunter auch solche, die sich auf die Beschwerdeführerinnen bezogen, von den Ermittlungsbeamten mitgenommen. Diese waren zunächst freiwillig herausgegeben worden. Durch Schriftsatz vom 3. Juli 1998 erklärte der Beschuldigte aber den Widerruf der freiwilligen Herausgabe. Er erhob Beschwerde im eigenen Namen gegen den genannten Durchsuchungsbeschluss und weitere ermittlungsrichterliche Entscheidungen. Für die Beschwerdeführerinnen wurde kein Rechtsmittel eingelegt. Das Landgericht verwarf die Beschwerden des Beschuldigten. Diese Rechtsmittel seien unbegründet. Es bestehe der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat. Die Beschlagnahme der Beweismittel erscheine ohne weiteres möglich. Dass die Auswertung der Unterlagen mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden sei, müsse der Beschuldigte hinnehmen. Auf Verteidigerantrag für den Beschuldigten lehnte die Strafverfolgungsbehörde die Herausgabe der Unterlagen ab und verwies darauf, dass das Landgericht sich auch zur Beschlagnahme geäußert habe.
Hiernach wandten sich die Beschwerdeführerinnen mit einer Herausgabeklage an die Zivilgerichte. Das Landgericht wies die Klage ab. Ein Herausgabeanspruch bestehe nicht. Die Wirksamkeit einer Beschlagnahme sei allein im Strafverfahren zu prüfen.
Das Oberlandesgericht wies die hiergegen gerichtete Berufung zurück. Rechtsschutz vor den Zivilgerichten könne nicht gewährt werden. Die Beschwerdeführerinnen seien auf den Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO zu verweisen. Dies gelte auch, soweit es an einer richterlichen Beschlagnahmeanordnung fehle und die Ermittlungsbehörde es trotz Widerrufs der freiwilligen Herausgabe bei der formlosen Sicherstellung belasse. Der Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO sei der einfachere Weg zur Rechtsschutzgewährleistung. Unabhängig hiervon sei das Herausgabeverlangen unbegründet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerdeführerinnen sehen sich in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 103 Abs. 1 GG verletzt. Sie seien im Strafverfahren nicht im Sinne des § 103 StPO berücksichtigt worden. Eine wirksame Einwilligung in die Herausgabe der Gegenstände durch sie habe nicht vorgelegen. Die Erklärung des Beschuldigten sei ihnen nicht zuzurechnen gewesen. Zumindest wäre dessen Widerrufserklärung zu beachten gewesen. Ein Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO sei für sie nicht gestellt worden und die Frage der Beweismittelbeschlagnahme demnach nicht Gegenstand des strafprozessualen Beschwerdeverfahrens geworden. Die Zivilgerichte hätten diese Rechtslage verkannt. Die Verweisung auf den Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO führe zu einer Verkürzung ihres Rechtsschutzes. Das Strafverfahren sei nicht auf den Eigentumsschutz Dritter ausgerichtet und stelle nur ein Beschlussverfahren in zwei Instanzen zur Verfügung. Im Zivilprozess könne hingegen ein Urteilsverfahren in Gang gesetzt werden, bei dem gegebenenfalls drei Instanzen zur Verfügung stünden. Insoweit seien die Rechtswege zu den Strafgerichten und zu den Zivilgerichten ungleichwertig. Nicht unmittelbar am Strafverfahren beteiligten Dritten gegenüber sei es nicht gerechtfertigt, den Rechtsschutz nur im zweistufigen Beschlussverfahren gemäß §§ 98 Abs. 2 Satz 2, 304 StPO zu gewähren. Verfehlt sei die Annahme des Oberlandesgerichts, die Zivilgerichte dürften nicht unter Eingriff in das Strafverfahren einen Herausgabetitel gegen das beklagte Land erlassen. Die Hilfsbegründungen zur Unbegründetheit des Herausgabeanspruchs verletzten ihren Anspruch auf Gehör vor Gericht, erwiesen sich als objektiv willkürlich und würden die Bedeutung und Tragweite ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG verkennen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind entschieden. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt; denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫).
1. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist nicht gewahrt. Er verlangt, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinn hinaus auch alle sonstigen prozessualen Möglichkeiten ergreift, die eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen versprechen (stRspr; vgl. BVerfGE 95, 163 ≪171≫). Eine solche Möglichkeit besteht, ohne dass sie von den Beschwerdeführerinnen genutzt wurde. Sie haben im eigenen Namen weder den Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO noch das Rechtsmittel nach § 304 Abs. 1 StPO ergriffen. Dazu sind sie auch als nicht unmittelbar am Strafverfahren beteiligte Betroffene befugt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 98 Rn. 20 und § 304 Rn. 6). Zwar liegt noch keine Beschlagnahmeanordnung vor; das Verfahren befindet sich im Stadium der Durchsicht der Papiere gemäß § 110 StPO, das der Durchsuchung zugeordnet ist und richterlicher Kontrolle unterliegt (vgl. Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 110 Rn. 8). Insoweit muss aber im Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39 ff.≫) ein strafprozessualer Rechtsbehelf zur Verfügung stehen. Die Mitnahme der Papiere zur Durchsicht gemäß § 110 StPO ist noch keine Beschlagnahme, sondern sie dient dazu, mögliche Beschlagnahmegegenstände aus dem bei der Durchsuchung vorgefundenen Material auszusondern. Deshalb ist § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht unmittelbar anwendbar. Da die vorläufige Sicherstellung von Unterlagen zur Durchsicht eine der späteren Beschlagnahme vergleichbare Beschwer begründet, ist nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung dagegen entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO ein Antrag auf richterliche Entscheidung zulässig (vgl. BGH – Ermittlungsrichter, CR 1999, S. 292 f. mit Anm. Bär; LG Koblenz, WM 1998, S. 2290 ff.; Park, wistra 2000, S. 453 ≪458≫). Mit diesem Rechtsbehelf kann unter anderem eine unangemessen lange Dauer des Verfahrens nach § 110 StPO beanstandet werden (vgl. LG Frankfurt am Main, NStZ 1997, S. 564 f. mit Anm. Hoffmann/Wißmann, NStZ 1998, S. 443 f.). Gegen die behauptete Durchsuchung auch in einem räumlichen Schutzbereich der Beschwerdeführerinnen steht diesen die Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO zur Verfügung.
Die Ergreifung dieser Rechtsbehelfe nach §§ 98 Abs. 2 Satz 2, 304 StPO vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde wäre den Beschwerdeführerinnen zuzumuten gewesen.
2. Im Übrigen kann auch der verfassungsrechtliche Angriff auf die zivilgerichtlichen Entscheidungen keinen Erfolg haben.
Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführerinnen das Rechtsschutzinteresse für eine Herausgabeklage abgesprochen, weil ihnen das Verfahren nach §§ 98 Abs. 2 Satz 2, 304 StPO als einfacherer Weg zur Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes zur Verfügung stehe. Dagegen ist von Verfassungs wegen nichts einzuwenden. Sowohl Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG als auch die materiellen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebieten die Gewährung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes; diese Gewährleistung wird im Verfahren nach §§ 98 Abs. 2 Satz 2, 304 StPO in zwei Rechtszügen erfüllt. Dass ein solches gerichtliches Beschlussverfahren nicht ausreiche, um den gebotenen Rechtsschutzstandard zu erfüllen, wird von den Beschwerdeführerinnen nicht näher erläutert. Allein das Vorhandensein eines Urteilsverfahrens im Zivilprozess mit – zum Teil – drei Instanzen besagt aber nicht, dass ein Beschlussverfahren mit zwei Instanzen im Strafverfahren die Rechtsschutzgewährleistung nicht erfülle; denn dabei geht es nicht um eine umfassende Richtigkeitsgewähr, sondern um die Einhaltung eines Rechtsschutzstandards (vgl. Krugmann, ZRP 2001, S. 306 ≪307≫). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht von Verfassungs wegen kein Anspruch auf einen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 54, 277 ≪291≫ – Plenum).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Limbach, Hassemer, Mellinghoff
Fundstellen