Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Frist für eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz versäumt wurde
Leitsatz (redaktionell)
Eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen ein Gesetz richtet, kann nur binnen eines Jahres seit dem In- Kraft-Treten des Gesetzes erhoben werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht möglich. Die diesbezügliche Sonderregelung in § 93 Abs. 2 BVerfGG gilt nicht für Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze im Sinne des § 93 Abs. 3 BVerfGG. Es gibt keinen Grund, den Lauf der Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG für eine unverändert gebliebene Bestimmung deshalb erneut beginnen zu lassen, weil der Gesetzgeber sie gelegentlich der Änderung anderer Bestimmungen desselben Gesetzes erneut in seinen Willen aufgenommen hat.
(hier: unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen den Umfang der Exklusivlizenz der Deutschen Post AG im Bereich der Beförderung von Briefen und adressierten Katalogen und gegen das PostG1998ÄndG 1)
Normenkette
BVerfGG § 90 Abs. 1, § 93 Abs. 2-3; PostG 1998 § 51 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 5; PostG1998ÄndG 1; PostG1998ÄndG 3 Art. 1 Nr. 3 Buchst. a, Art. 2 Nr. 1 Buchst. a
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen das Erste Gesetz zur Änderung des Postgesetzes.
I.
1. Im Rahmen der so genannten Postreform II von 1994 wurde das 41. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 30. August 1994 (BGBl I S. 2245) erlassen und eine neue Verfassungsordnung des Postwesens durch die Änderung der Art. 73 Nr. 7, Art. 80 Abs. 2 sowie Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG und die Einfügung von Art. 87 f und Art. 143 b GG geschaffen. Das Postgesetz in der Fassung vom 22. Dezember 1997 enthielt in § 51 Abs. 1 Satz 1 eine befristete gesetzliche Exklusivlizenz. Diese Vorschrift lautete:
Bis zum 31. Dezember 2002 steht der Deutschen Post AG das ausschließliche Recht zu, Briefsendungen und adressierte Kataloge, deren Einzelgewicht weniger als 200 Gramm und deren Einzelpreis bis zum Fünffachen des am 31. Dezember 1997 geltenden Preises für entsprechende Postsendungen der untersten Gewichtsklasse beträgt, gewerbsmäßig zu befördern (gesetzliche Exklusivlizenz).
Das Erste Gesetz zur Änderung des Postgesetzes vom 2. September 2001 (BGBl I S. 2271) hat die Befristung der gesetzlichen Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG bis zum 31. Dezember 2007 verlängert. Durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Postgesetzes vom 16. August 2002 (BGBl I S. 3218) wurde § 51 Abs. 1 PostG folgendermaßen geändert. Art. 1 Nr. 3 a) lautet:
Bis zum 31. Dezember 2005 steht der Deutschen Post AG das ausschließliche Recht zu, Briefsendungen und adressierte Kataloge, deren Einzelgewicht bis 100 Gramm und deren Einzelpreis weniger als das Dreifache des Preises für entsprechende Postsendungen der untersten Gewichtsklasse beträgt, gewerbsmäßig zu befördern (gesetzliche Exklusivlizenz).
Art. 2 Nr. 1 a) lautet:
Bis zum 31. Dezember 2007 steht der Deutschen Post AG das ausschließliche Recht zu, Briefsendungen und adressierte Kataloge, deren Einzelgewicht bis 50 Gramm und deren Einzelpreis weniger als das Zweieinhalbfache des Preises für entsprechende Postsendungen der untersten Gewichtsklasse beträgt, gewerbsmäßig zu befördern (gesetzliche Exklusivlizenz).
2. Die Beschwerdeführerin ist ein Postdienstleistungsunternehmen. Sie ist Inhaberin einer Lizenz nach § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG „D-Lizenz”).
Mit ihrer nur gegen das Erste Gesetz zur Änderung des Postgesetzes gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Zur Begründung führt sie unter anderem aus:
Das Erste Gesetz zur Änderung des Postgesetzes sei formell verfassungswidrig. Die angegriffene Norm sei ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen worden, obgleich nach Art. 87 f Abs. 1 GG der Bund nach Maßgabe eines Bundesgesetzes, das der Zustimmung des Bundesrates bedürfe, flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen gewährleiste.
Die angegriffene Norm sei auch materiell verfassungswidrig. Aus Art. 87 f Abs. 2 Satz 1 GG folge ein Liberalisierungsbefehl. Die Verlängerung der Exklusivlizenz wirke sich als objektive Beschränkung der freien Berufswahl aus, die nicht durch ein hinreichend gewichtiges Gemeinschaftsgut gerechtfertigt sei. Die in Art. 143 b Abs. 2 Satz 1 GG genannte Übergangszeit sei abgelaufen. Durch die Verlängerung der Exklusivlizenz werde die Beschwerdeführerin nicht nur in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit, sondern auch in ihrem Eigentumsrecht gemäß Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Ihr würde jegliche Planungssicherheit entzogen und bereits getätigte Investitionen würden sich nicht amortisieren. Auch sei der Gleichheitssatz wegen der Bevorzugung der Deutschen Post AG verletzt.
Zudem sei der Umfang der Exklusivlizenz verfassungsrechtlich zu beanstanden. Der Ausschluss der Beförderung von Katalogen bis 200 Gramm vom Wettbewerb gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG gehe über den Stand des Postgesetzes vor 1998 hinaus. Bis 1997 seien wiederkehrend erscheinende Druckschriften vom Beförderungsvorbehalt ausgenommen gewesen. Dazu gehörten Kataloge von Versandhäusern. Die Einbeziehung von Katalogen in die Exklusivlizenz verstoße gegen Art. 143 b Abs. 2 Satz 1 GG, weil nur die Verleihung von ausschließlichen Rechten zugelassen worden sei, die vor der Umwandlung bestanden hätten. Auch verstoße die Exklusivlizenz, soweit sie sich auf die Abholung und Einlieferung bei geeigneten Briefzentren beziehe (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PostG), gegen Art. 143 b Abs. 2 Satz 1 GG. Bis zum In-Kraft-Treten des Postgesetzes im Jahre 1997 sei es rechtlich möglich gewesen, dass private Dienstleister Post von Unternehmen abholten, um sie zur nächsten Poststelle oder zu einem weiter entfernten geeigneten Briefzentrum der Post zu bringen. Die neue Regelung des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PostG beschränke die Annahme indes auf Annahmestellen innerhalb derselben Gemeinde.
3. Durch Schreiben des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts vom 30. September 2002 ist die Beschwerdeführerin auf die Rechtsänderungen durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Postgesetzes hingewiesen und es ist ihr Gelegenheit gegeben worden, dazu bis zum 20. Dezember 2002 Stellung zu nehmen. Davon hat sie keinen Gebrauch gemacht.
II.
Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte erforderlich. Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig.
1. Soweit die Beschwerdeführerin den Umfang der Exklusivlizenz (§ 51 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 PostG) beanstandet, hat sie nicht die Jahresfrist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG eingehalten.
Nach dieser Vorschrift kann eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen ein Gesetz richtet, nur binnen eines Jahres seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes erhoben werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht möglich. Die diesbezügliche Sonderregelung in § 93 Abs. 2 BVerfGG gilt nicht für Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze im Sinne des § 93 Abs. 3 BVerfGG (vgl. auch Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 93 Rn. 43).
Die angegriffenen Bestimmungen des Postgesetzes vom 22. Dezember 1997 sind am 1. Januar 1998 in Kraft getreten (§ 58 Abs. 1 Satz 2 PostG). Die Jahresfrist war mithin zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde abgelaufen.
Die Jahresfrist hat nicht etwa deshalb neu zu laufen begonnen, weil der Bundesgesetzgeber § 51 PostG durch die Änderungsgesetze modifiziert hat. Die Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze ist wegen der Tragweite eines solchen Angriffs aus Gründen der Rechtssicherheit an eine eng auszulegende Frist gebunden (vgl. BVerfGE 23, 153 ≪164≫). Die Ausschlussfrist soll den zu einer prozessualen Handlung Berechtigten veranlassen, diese Handlung nicht beliebig lange hinauszuschieben, sondern innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmen, nach deren Ablauf er mit der Handlung ausgeschlossen ist. Es ist kein Grund vorhanden, den Lauf dieser Frist für eine unverändert gebliebene Bestimmung deshalb erneut beginnen zu lassen, weil der Gesetzgeber sie gelegentlich der Änderung anderer Bestimmungen desselben Gesetzes erneut in seinen Willen aufgenommen hat (vgl. BVerfGE 11, 255 ≪260≫; 18, 1 ≪9≫). Betrifft eine Gesetzesänderung die angefochtene Vorschrift indes in der Weise, dass gerade durch diese Änderung die Verfassungswidrigkeit begründet oder erhöht wird, so ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Gesetzesänderung innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG zulässig (vgl. Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 93 Rn. 47).
Bei dieser Rechtslage kann dahingestellt bleiben, ob der Bundesgesetzgeber durch den Erlass der Änderungsgesetze die hier angegriffenen Bestimmungen tatsächlich in seinen Willen aufgenommen hat. Den hier in Rede stehenden Umfang der Exklusivlizenz hat er jedenfalls gänzlich unberührt gelassen. Hiernach ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich unmittelbar gegen den Umfang der Exklusivlizenz richtet, verfristet.
2. Im Übrigen fehlt der Verfassungsbeschwerde gegen das Erste Gesetz zur Änderung des Postgesetzes das Rechtsschutzinteresse.
Die Beschwerdeführerin hat sich nur gegen das Erste Gesetz zur Änderung des Postgesetzes gewandt. Das Dritte Gesetz zur Änderung des Postgesetzes hat sie weder ausdrücklich noch konkludent angegriffen, und sei es auch nur dadurch, dass sie ihre Beschwer durch das neuerlich abgeänderte Postgesetz dargetan hätte. Das Schreiben des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts vom 30. September 2002 hat sie nicht beantwortet. Ob sich die Beschwerdeführerin auf Grund des abermals abgeänderten Postgesetzes, das auf Grund der reduzierten Exklusivlizenz eine Verbesserung der gewerbsmäßigen Beförderungsmöglichkeit für Konkurrenzunternehmen der Deutschen Post AG, also auch für die Beschwerdeführerin, bedeutet, noch in der Verwirklichung ihrer beruflichen Tätigkeit gehindert sieht, bleibt ungewiss. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, darüber zu spekulieren, ob und wie weit ein Rechtsschutzinteresse fortbesteht.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen