Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 16.10.2002; Aktenzeichen 8 S 737/02) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 225 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.
1. a) Wegen der “Frage der rechtlichen Beurteilung der Errichtung von Windkraftwerken” kommt eine Zulassung der Revision schon deshalb nicht in Betracht, weil mit dieser allgemeinen Formulierung keine klärungsfähige Rechtsfrage aufgeworfen wird. Den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist nur dann genügt, wenn eine konkrete Rechtsfrage formuliert wird. Das Gegenteil ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Berufungsgerichts vom 3. Februar 2000, durch den die Berufung zugelassen worden ist, “da die Frage der rechtlichen Beurteilung der Errichtung von Windkraftwerken grundsätzliche Bedeutung” habe. Denn diese Begründung kann nicht isoliert gelesen werden; sie bezieht sich auf den Zulassungsantrag und damit auf den in ihm enthaltenen sehr konkreten Vortrag zum Verhältnis zwischen § 8 Abs. 3 BNatSchG und § 11 Abs. 3 NatSchG BW, das rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig sei.
b) Ob die in der Beschwerdebegründung formulierten Fragen zur Verunstaltung des Landschaftsbildes den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügen, kann offen bleiben. Sie rechtfertigen jedenfalls deshalb die Zulassung der Revision nicht, weil sie keinen grundsätzlichen Charakter haben, sondern die konkrete Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht betreffen.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist rechtsgrundsätzlich geklärt, dass eine Verunstaltung im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB voraussetzt, dass das Bauvorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1990 – BVerwG 4 C 6.87 – (NVwZ 1991, 64 = ZfBR 1990, 293); Urteil vom 15. Mai 1997 – BVerwG 4 C 23.95 – ZfBR 1997, 322). Dieser Grundsatz gilt auch gegenüber im Außenbereich privilegierten Vorhaben; er gilt auch für Windkraftanlagen. Zwar sind diese Anlagen durch § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB grundsätzlich dem Außenbereich zugewiesen. Eine Entscheidung über den konkreten Standort hat der Gesetzgeber jedoch nicht getroffen. Ihre Zulässigkeit steht deshalb unter dem Vorbehalt, dass die jeweilige Anlage das Orts- und Landschaftsbild im Einzelfall nicht verunstaltet. Ob die Schwelle zur Verunstaltung überschritten ist, hängt von den konkreten Umständen der jeweiligen Situation ab (BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2001 – BVerwG 4 B 69.01 – BRS 64 Nr. 100).
In Übereinstimmung mit dem OVG Bautzen (Urteil vom 18. Mai 2000 – 1 B 29/98 – NuR 2002, 162) hat das Berufungsgericht darüber hinaus angenommen, dass eine Verunstaltung des Landschaftsbildes nur in Ausnahmefällen anzunehmen sei, nämlich wenn es sich um eine wegen ihrer Schönheit und Funktion besonders schutzwürdige Umgebung oder um einen besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild handelt. Weitergehende allgemeine Rechtssätze dürften sich kaum formulieren lassen. Zumindest die in der Beschwerde angesprochenen Fragen lassen sich nicht verallgemeinernd klären. So ist zwar nicht zweifelhaft, dass auch ein nicht unter förmlichen Naturschutz gestelltes Gebiet durch Windenergieanlagen verunstaltet werden kann; wann dies der Fall ist, hängt jedoch von einer wertenden Betrachtung des jeweiligen Gebiets ab. Ob eine Landschaft durch technische Einrichtungen und Bauten bereits so vorbelastet ist, dass eine Windkraftanlage sie nicht mehr verunstalten kann, ist ebenfalls eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Die Beschwerde weist ferner zwar zutreffend darauf hin, dass die technische Neuartigkeit einer Anlage und die dadurch bedingte optische Gewöhnungsbedürftigkeit allein nicht geeignet ist, das Orts- oder Landschaftsbild zu beeinträchtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1983 – BVerwG 4 C 18.81 – BVerwGE 67, 23 ≪33≫). Dies hat aber auch das Berufungsgericht angenommen. Zu Recht hat es die Verunstaltung auch nicht allein daraus abgeleitet, dass Windkraftanlagen angesichts ihrer Größe markant in Erscheinung treten. In welcher Entfernung eine Windkraftanlage nicht mehr verunstaltend wirken kann, lässt sich ebenfalls nicht abstrakt festlegen.
2. Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsurteil weiche im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 1990 – BVerwG 4 C 6.87 – (NVwZ 1991, 64 = ZfBR 1990, 293) ab, ist sie unzulässig, weil es ihr nicht gelingt und angesichts der Begründung des Berufungsgerichts auch nicht gelingen kann, einen von dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtsgrundsatz im Berufungsurteil darzulegen. Das Berufungsgericht geht nämlich ausdrücklich von der Definition der Verunstaltung durch das Bundesverwaltungsgericht und damit auch davon aus, dass die Windkraftanlage nur dann unzulässig sein kann, wenn sie dem Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht “grob” unangemessen ist. Zwar wird das Wort “grob” bei der Subsumtion des Sachverhalts unter den Rechtsbegriff der Verunstaltung nicht erneut ausdrücklich zitiert; der Sache nach nimmt das Berufungsgericht jedoch an, dass hier ein grobes Missverhältnis zwischen der streitigen Anlage und dem Landschaftsbild besteht.
3. a) Als Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter rügt die Beschwerde, dass das Berufungsgericht die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen habe, obwohl es selbst die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hatte. Damit kann sie keinen Erfolg haben. Auch wenn der Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich dem Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entspricht, besteht doch schon bei generalisierender Betrachtung keine Notwendigkeit, nach Zulassung der Berufung jeweils auch die Revision zuzulassen; die Zulassung der Revision erfordert immer eine neue, eigenständige Prüfung. Im vorliegenden Fall war die Berufung, wie bereits ausgeführt ist, insbesondere wegen der Anwendung des § 8 Abs. 3 BNatSchG (a.F.) bei der Zulassung von Windenergieanlagen zugelassen worden. Wegen dieser Fragen hat inzwischen sogar bereits ein Revisionsverfahren stattgefunden. Weshalb das Berufungsgericht nach Zurückverweisung der Sache erneut die Revision zulassen sollte, ist nicht erkennbar; auch die Beschwerde nennt keinen materiellen Grund hierfür.
b) Aus dem Vortrag der Beschwerde, das Berufungsgericht habe aktenwidrig angenommen, dass die projektierten Windenergieanlagen aus der Tallage ebenso zu sehen oder auch nicht zu sehen wären wie die bereits vorhandenen Windpark-Anlagen Böhmenkirch und Schnittlingen, ergibt sich der geltend gemachte Verfahrensfehler nicht.
Die Beschwerde bezieht sich mit ihrem Vorwurf der Aktenwidrigkeit allein auf die bei den Behördenakten befindlichen Sichtbarkeitsstudien. Die von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegte Sichtbarkeitsstudie (Ordnungsnummer “zu 31”) enthält für dieses Problem jedoch überhaupt keine verwertbaren Aussagen. Zwar sind in ihr mehrere Ansichten auf die von der Klägerin geplanten Anlagen durch Beschreibungen und Fotomontagen dokumentiert; die im Ortstermin als vorhanden festgestellten Anlagen Böhmenkirch und Schnittlingen sind jedoch in der Studie nicht erkennbar.
Dagegen ergibt sich aus dem Protokoll über die Ortsbesichtigung in der Tat nicht, dass das Berufungsgericht die Örtlichkeit auch aus der Tallage in Augenschein genommen hat. Dazu bestand jedoch auch kein Anlass. Denn für ein Berufungsgericht, das seit Jahrzehnten im Umgang mit Bauzeichnungen, Landkarten und sonstigen Bauakten erfahren ist, musste sich auch ohne eine derartige Ortsbesichtigung auf der Grundlage der durchgeführten Besichtigung und der von der Klägerin selbst mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2002 vorgelegten Karte der Schluss aufdrängen, dass aus dem Tal heraus – zumindest von einzelnen Standorten aus gesehen – nur die nahen Windkraftanlagen der Klägerin zu sehen sein würden. Weshalb dies hier anders sein sollte, legt die Beschwerde nicht substantiiert dar.
Darüber hinaus kam es dem Berufungsgericht auf die fehlende Sichtbarkeit der bereits vorhandenen Anlagen Böhmenkirch und Schnittlingen aus der Tallage nicht entscheidungstragend an. Wesentlich war für das Berufungsgericht, dass diese Anlagen fast die fünffache Entfernung zum Naturschutzgebiet “Kaltes Feld” aufwiesen und deshalb optisch kaum in Erscheinung träten, während das Landschaftsbild “eindeutig” von den Windkraftanlagen der Klägerin dominiert würde (BU S. 9). Die – in Parenthese gesetzte – Bemerkung, dass diese Windparks aus der Tallage nicht sichtbar seien, hat keine selbständige Bedeutung, sondern rundet die Beurteilung durch das Berufungsgericht nur ab.
c) Unbegründet ist die Rüge, das Berufungsgericht hätte die Beweisanträge der Nummern 2 bis 4 nicht ablehnen dürfen. Wie die Beschwerde vorträgt, hat das Berufungsgericht die beantragten Augenscheinseinnahmen mit der Begründung abgelehnt, die Beweisanträge würden als wahr unterstellt. In einem solchen Fall braucht das Gericht den beantragten Beweis nicht zu erheben. Es muss dann allerdings in seiner Entscheidung auch von den als wahr unterstellten Tatsachen ausgehen. Die Beschwerde wirft dem Berufungsgericht vor, dies nicht getan zu haben. Tatsächlich wendet sie sich jedoch nur gegen die Würdigung der Ergebnisse der (unterstellten) Augenscheinseinnahme. So sieht sie beispielsweise zu Unrecht einen Widerspruch darin, dass das Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht unterstellt, der Windpark Böhmenkirch sei in einer Entfernung von 7,3 km gut erkennbar, es dann jedoch die Wertung trifft, der Windpark trete – im Vergleich mit der Anlage der Klägerin in 1,5 km Entfernung – optisch kaum in Erscheinung. Eine solche Wertung ist möglich. Es ist die Aufgabe des Berufungsgerichts, eine eigene Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse vorzunehmen, wenn sich die Prozessbeteiligten in ihrer Bewertung nicht einig sind.
Nicht nachvollziehbar ist die Kritik der Beschwerde, das Berufungsgericht hätte die in den Beweisanträgen aufgeführten Umstände im Urteil nicht als unerheblich bezeichnen dürfen, nachdem die Beweisanträge zuvor im Wege der Wahrunterstellung abgelehnt worden seien. Lehnt ein Gericht einen Beweisantrag ab, weil es die in ihm enthaltenen Tatsachenbehauptungen als wahr unterstellt, so bedeutet dies nur, dass es – zugunsten des Antragstellers – von der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen ausgeht, nicht jedoch, dass es auch die vom Antragsteller aus ihnen gezogenen rechtlichen Schlüsse notwendigerweise billigt. Insoweit kann die Wahrunterstellung gerade auf der rechtlichen Beurteilung beruhen, dass die behauptete Tatsache für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Bedeutung sei. Da dies auch der anwaltlich vertretenen Klägerin klar sein musste, ist nicht erkennbar, womit das Berufungsgericht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen haben sollte.
d) Keine Verfahrensrüge, sondern eine Kritik an der materiell-rechtlichen Entscheidung des Berufungsgerichts enthält die Rüge, das Berufungsgericht habe gegen die Bindungswirkung der Revisionsentscheidung gemäß § 144 Abs. 6 VwGO verstoßen. Der Senat hatte in seiner Entscheidung vom 13. Dezember 2001 – BVerwG 4 C 3.01 – (ZfBR 2002, 360) ausgeführt, es bedürfe der tatrichterlichen Würdigung, ob öffentliche Belange der Zulassung dieses grundsätzlich dem Außenbereich zugewiesenen Vorhabens entgegenständen. Unter anderem könne es darauf ankommen, ob die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes den Grad der Verunstaltung erreiche. Hierfür bedürfe es einer eigenen umfassenden Abwägung durch das Berufungsgericht. Dieser Aufgabe hat sich das Berufungsgericht unterzogen. Es hat eine (erneute) Ortsbesichtigung durchgeführt und sodann geprüft, ob an dem von der Klägerin vorgesehenen Standort der im Außenbereich bevorrechtigt zulässigen Windenergie oder dem Schutz des Landschaftsbildes der Vorrang gebührt. Eine solche Prüfung ist gemeint, wenn im Revisionsurteil von einer – die in § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB enthaltene Wertung des Gesetzgebers nachvollziehenden – Abwägung die Rede ist. Ein Verstoß gegen § 144 Abs. 6 VwGO liegt nicht vor.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es erscheint nicht billig, die Klägerin auch mit den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren zu belasten. Zwar hat sie bereits den Antrag gestellt, die Beschwerde zurückzuweisen. Eine Förderung des Verfahrens liegt darin jedoch noch nicht. Zudem hatte sie der Senat auch noch nicht zu einer Stellungnahme aufgefordert (vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 31. Oktober 2000 – BVerwG 4 KSt 2.00 – Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 36). Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Paetow, Lemmel, Gatz
Fundstellen
BauR 2004, 294 |
GV/RP 2004, 371 |
BRS-ID 2004, 1 |
FuBW 2004, 334 |
FuNds 2004, 439 |