Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 31.05.1983; Aktenzeichen 15 S 2467/82) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg – Fachsenat für Personalvertretungssachen – vom 31. Mai 1983 wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
In der Zeit vom 4. bis 6. Mai 1982 fand beim Bahnbetriebswagenwerk Stuttgart der Deutschen Bundesbahn eine Wahl des örtlichen Personalrats in Form der Gruppenwahl statt. Nach dem Wahlausschreiben waren Wahlvorschläge bis zum 21. März 1982 einzureichen. Am 19. März 1982 gingen in der Gruppe der Arbeiter ein Wahlvorschlag mit dem Kennwort „Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands – GdED” und ein Wahlvorschlag mit dem Kennwort „GDBA/GDL/CGDE” ein. Nachdem der Wahlvorstand festgestellt hatte, daß sechs Personen auf beiden Wahlvorschlägen unterschrieben hatten, forderte er diese Beschäftigten auf, binnen drei Arbeitstagen zu erklären, welche der Unterschriften sie aufrechterhielten. Von diesen erklärten innerhalb der gesetzten Frist fünf Beschäftigte, daß ihre Unterschrift für den Wahlvorschlag mit dem Kennwort „Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands – GdED” gültig sein solle, ein Beschäftigter erklärte sich nicht. Der Wahlvorstand gab daraufhin am 29. März 1982 den Wahlvorschlag mit dem Kennwort „GDBA/GDL/CGDE” an den Listenvertreter zurück, wobei er für die Einreichung eines neuen Wahlvorschlages eine Nachfrist bis zum 1. April 1982 setzte. Der an diesem Tag eingegangene Wahlvorschlag wies jedoch wiederum Doppelunterschriften von drei Beschäftigten auf, die auf Anfrage ihre Unterschrift für den Wahlvorschlag mit dem Kennwort „Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands – GdED” aufrechterhielten. In seiner Sitzung vom 7. April 1982 erklärte der Wahlvorstand den Wahlvorschlag mit dem Kennwort „GDBA/GDL/CGDE” für ungültig und gab ihn ohne weitere Frist für eine Mängelbeseitigung zurück. Die Personalratswahl wurde sodann entsprechend dem Wahlvorschlag der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands nach den Grundsätzen der Persönlichkeitswahl durchgeführt.
Die Antragstellerin hat daraufhin ein personalvertretungsrechtliches Beschlußverfahren anhängig gemacht und gerügt, der Wahlvorstand habe gegen § 10 Abs. 5 BPersVWO verstoßen, indem er den Wahlvorschlag mit dem Kennwort „GDBA/GDL/CGDE” nur einmal zwecks Nachbesserung zurückgegeben habe. Er beantragte,
die Wahl des Personalrats beim Bahnbetriebswagenwerk Stuttgart in der Gruppe der Arbeiter am 4. bis 6. Mai 1982 für ungültig zu erklären.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgewiesen. Die von der Antragstellerin dagegen eingelegte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen:
Die Wahlanfechtung sei nicht gerechtfertigt, weil der Wahlvorstand durch die Zurückweisung des Wahlvorschlages mit dem Kennwort „GDBA/GDL/CGDE” nicht gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen habe. Der Wahlvorstand habe insbesondere auch insoweit ordnungsgemäß gehandelt, als er keine zweite Nachbesserungsmöglichkeit zur Beseitigung des durch die Streichung von Unterschriften entstandenen Mangels eingeräumt habe.
Bedenken gegen die Gültigkeit der Regelungen in § 9 Abs. 3 und § 10 Abs. 4 BPersVWO bestünden nicht. Die Bundesregierung sei durch § 115 BPersVG zu diesen Vorschriften wirksam ermächtigt worden. Durch das in § 19 Abs. 4 BPersVG enthaltene Erfordernis einer gewissen Anzahl von Unterschriften für die Einreichung gültiger Wahlvorschläge sei der Zugang zur Wahl eingeschränkt worden. Das Verbot von Mehrfachunterschriften und die Nichtberücksichtigung solcher Unterschriften auf Wahlvorschlägen, falls sich die Unterzeichner nicht innerhalb von drei Arbeitstagen nach Aufforderung für einen bestimmten Wahlvorschlag erklärten, lägen innerhalb dieser gesetzlichen Zwecksetzung.
Aus dem Zusammenhang der Regelung in § 10 Abs. 5 BPersVWO ergebe sich, daß ein Wahlvorschlag nach Ablauf der Einreichungsfrist in den dort behandelten Fällen der Gültigkeitsverfehlung nur einmal zur Nachbesserung zurückgegeben werden könne. Unter „fristgerecht” im Sinne von § 10 Abs. 5 Satz 2 BPersVWO könne nur die in Satz 1 der Vorschrift genannte (erste) Nachbesserungsfrist von drei Arbeitstagen verstanden werden. Dies werde auch durch die zeitlichen Gegebenheiten zwischen Wahlausschreiben und Stimmabgabe bestätigt. Unter Berücksichtigung der für die Einreichung der Wahlvorschläge vorgesehenen Frist und des Zeitpunkts, an dem die Wahlunterlagen vor der Wahl zur Verfügung stehen müßten, bestehe für ein zweites Nachbesserungsverfahren regelmäßig nicht genügend Zeit.
Die von der Antragstellerin vorgetragenen Gesichtspunkte müßten demgegenüber zurücktreten. Eine andere Auslegung des § 10 Abs. 5 BPersVWO sei insbesondere auch nicht deshalb geboten, weil nach § 13 Abs. 2 BPersVWO die Unterzeichner der Wahlvorschläge nicht bekanntgemacht würden. Das sich daraus ergebende Risiko, daß der nachgebesserte Wahlvorschlag wiederum von Personen unterschrieben werde, deren Unterschriften wegen Unterzeichnung eines anderen Wahlvorschlages nicht gezählt werden könnten, müsse hingenommen werden.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, mit der sie wiederum Bedenken gegen die Gültigkeit des Verbots von Mehrfachunterschriften auf Wahlvorschlägen erhebt. Außerdem macht sie geltend, daß § 10 Abs. 5 BPersVWO eine zweite Nachbesserungsmöglichkeit nicht ausschließe. Nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers sollten Wahlvorschläge möglichst nicht an formellen Voraussetzungen scheitern. Im vorliegenden Fall habe für eine weitere Nachbesserung ausreichend Zeit bestanden.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg – Fachsenat für Personalvertretungssachen – vom 31. Mai 1983 und den Beschluß des Verwaltungsgerichts Stuttgart – Fachkammer für Personalvertretungssachen (Bund) – vom 15. September 1982 aufzuheben sowie die Wahl zum Personalrat beim Bahnbetriebswagenwerk Stuttgart in der Gruppe der Arbeiter für ungültig zu erklären.
Der Beteiligte zu 1) beantragt,
die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluß.
Der Beteiligte zu 2) hat sich zur Rechtsbeschwerde nicht geäußert.
Der Oberbundesanwalt hat sich an dem Verfahren beteiligt und ausgeführt, daß die in der Wahlordnung enthaltenen Regelungen, wie Mehrfachunterschriften auf Wahlvorschlägen zu behandeln sind, verfassungsmäßig seien. Nach § 10 Abs. 5 BPersVWO sei es nicht möglich, mehrmals eine Frist zur Nachbesserung eines Wahlvorschlages einzuräumen. Das Beschwerdegericht habe jedoch prüfen müssen, ob die Personalratswahl nicht aus einem anderen Grund anfechtbar gewesen sei. Im vorliegenden Fall dränge sich die Frage auf, ob nicht entgegen § 24 Abs. 1 Satz 1 BPersVG die Aufstellung der Wahlvorschläge objektiv behindert oder in sittenwidriger Weise beeinflußt worden sei. Damit entsprechende Feststellungen getroffen werden könnten, müsse das Verfahren an das Beschwerdegericht zurückverwiesen werden.
Entscheidungsgründe
II.
Die – zulässige – Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den Antrag, die im Jahre 1982 durchgeführte Wahl zum Personalrat beim Bahnbetriebswagenwerk Stuttgart für ungültig zu erklären, weil der Wahlvorschlag mit dem Kennwort „GDBA/GDL/CGDE” nicht zu dieser Wahl zugelassen worden ist, zu Recht abgelehnt.
Die Bedenken der Antragstellerin gegen die Rechtsgültigkeit der §§ 9 Abs. 3 und 10 Abs. 4 der Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVWO) vom 23. September 1974 (BGBl. I S. 2337), wonach bei der Personalratswahl jeder vorschlagsberechtigte Beschäftigte seine Unterschrift rechtswirksam nur für einen Wahlvorschlag abgeben kann und bei Mehrfachunterschriften der Beschäftigte auf Aufforderung binnen drei Arbeitstagen zu erklären hat, welche Unterschrift er aufrechterhält, anderenfalls seine Unterschrift auf keinem Wahlvorschlag zählt, sind nicht gerechtfertigt. Die Vorschriften haben eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage in § 115 Nr. 3 BPersVG. Die Regelung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung „im Gesetz” bestimmt werden müssen, besagt nicht, daß sie im Text des Gesetzes ausdrücklich zu bestimmen sind. Für die Interpretation von Ermächtigungsnormen gelten vielmehr die allgemeinen Auslegungsgrundsätze. Zur Klärung von Zweck, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung können also, wie auch sonst bei der Auslegung einer Vorschrift, der Sinnzusammenhang der Norm mit anderen Vorschriften und das Ziel, das die gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE 42, 191 [200]). Hiernach kann es nicht zweifelhaft sein, daß die Ermächtigung des § 115 Nr. 3 BPersVG an die Bundesregierung, Vorschriften „über die Vorschlagslisten und die Frist für ihre Einreichung” zu erlassen, auch die Möglichkeit einschließt, Mehrfachunterschriften auf Wahlvorschlägen zu verbieten. Dies folgt aus dem in § 19 Abs. 4 BPersVG enthaltenen Erfordernis einer bestimmten Unterschriftenzahl für Wahlvorschläge, das dazu dienen soll, den Wahlakt auf ernsthafte Bewerber zu beschränken, dadurch das Stimmgewicht der einzelnen Wählerstimmen zu sichern und so indirekt der Stimmenzersplitterung vorzubeugen (BVerfGE 60, 162 [168]). Dieser Zweck des Unterschriftenquorums könnte bei Zulässigkeit von Mehrfachunterschriften nicht erreicht werden, weil die vorschlagsberechtigten Beschäftigten dann beliebig viele Wahlvorschläge durch ihre Unterschrift unterstützen könnten. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin gehört es nicht zu den Aufgaben der Wahlberechtigten, durch Unterschriften auf mehreren Wahlvorschlägen „zur Schaffung eines gewerkschaftlichen Spektrums mit entsprechender Meinungsvielfalt” beizutragen. Da in dem Verbot von Mehrfachunterschriften gemäß §§ 9 Abs. 3 und 10 Abs. 4 BPersVWO auch keine unverhältnismäßige und damit verfassungswidrige Erschwerung des Zugangs zur Wahl liegt, ist der erkennende Senat bisher ohne nähere Begründung von der Rechtsgültigkeit dieser Vorschriften ausgegangen (vgl. Beschluß vom 1. März 1984 – BVerwG 6 P 36.83 – [ZBR 1984, 218]).
Auch die Rüge, der angefochtene Beschluß verletze § 10 Abs. 4, 5 BPersVWO, weil es das Beschwerdegericht als wahlrechtlich unbedenklich angesehen habe, daß der Wahlvorstand hinsichtlich der in dem „nachgebesserten” Wahlvorschlag ententhaltenen Doppelunterschriften nicht erneut nach § 10 Abs. 4 BPersVWO verfahren sei, ist unbegründet. Sie verkennt Sinn und Zweck sowie die Grenzen der in § 10 Abs. 4 und 5 BPersVWO getroffenen Regelungen (Beschluß vom 1. März 1984 – BVerwG 6 P 36.83 – [ZBR 1984, 218]).
Die Wahlordnung trägt mit diesen Vorschriften dem Anliegen Rechnung, im Interesse der umfassenden und differenzierten Wahrnehmung der Belange der Beschäftigten durch die zu wählende Personalvertretung möglichst vielen Bewerbern und Wahlvorschlägen die Teilnahme an der Personalratswahl zu eröffnen und den wahlberechtigten Bediensteten die Gelegenheit zu einer überlegten, an ihren individuellen Vorstellungen ausgerichteten Ausübung des Wahlrechts zu geben. Diesem Anliegen kommt wegen der engen Verbindung von wahlberechtigten Bediensteten und Wahlbewerbern in der Dienststelle, die sich auch auf die Stufenvertretungen auswirkt, besonderes Gewicht zu. Deswegen und weil nicht bei allen Wahlbewerbern eingehende Kenntnisse der Wahlvorschriften und Erfahrungen in der Ausübung des passiven Wahlrechts erwartet werden können, sieht die Wahlordnung in ihrem § 10 Abs. 4 und 5 verhältnismäßig weitgreifende Möglichkeiten der Korrektur formaler und bestimmter anderer, typischerweise auftretender Mängel bei der Aufstellung von Wahlvorschlägen vor. Sie werden indes durch § 10 Abs. 5 Satz 2 BPersVWO insoweit begrenzt, als der Wahlvorschlag nach dieser Vorschrift ungültig ist, wenn die Mängel nicht binnen drei Arbeitstagen beseitigt sind. Dies rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß ein mehrfaches Aufeinanderfolgen von Aufforderungen gemäß § 10 Abs. 5 BPersVWO, daraufhin vorgenommenen „Nachbesserungen” und anschließend notwendig werdenden Befragungen von Doppelunterzeichnern gemäß § 10 Abs. 4 BPersVWO dazu führen müßte, daß der festgesetzte Wahltermin nicht eingehalten werden kann. Der Wahlvorstand erfüllt die Pflichten, die sich für ihn aus den dargestellten Grundsätzen ergeben, nach alledem schon dann, wenn er einem Wahlbewerber oder Listenvertreter einmal Gelegenheit gibt, einen Wahlvorschlag, der infolge von Streichungen nach § 10 Abs. 4 BPersVWO nicht mehr die erforderliche Anzahl von Unterschriften aufweist, „nachzubessern” und in dem Fall, daß der „nachgebesserte” Wahlvorschlag erneut Doppelunterschriften aufweist, nicht nochmals nach § 10 Abs. 4 BPersVWO verfährt, sondern den Wahlvorschlag als ungültig zurückgibt.
Schließlich verstößt die Wahl des Personalrats beim Bahnbetriebswagenwerk Stuttgart im Jahre 1982 auch nicht aus anderen Gründen gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren (§ 25 BPersVG). Zwar können Anfechtungsgründe für die Wahlanfechtung im personalvertretungsrechtlichen Verfahren auch noch nach Ablauf der Anfechtungsfrist vorgebracht werden. Im vorliegenden Fall drängt sich jedoch entgegen der Auffassung des Oberbundesanwalts nicht die Prüfung auf, ob die Wahl des Personalrats durch das Verhalten von Vorschlags berechtigten Beschäftigten bei der Unterschrift auf Wahlvorschlägen konkurrierender Gewerkschaften im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 BPersVG behindert oder in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise beeinflußt worden ist. Der Umstand, daß Beschäftigte einer Liste, die vom Wahlvorstand schon einmal wegen fehlender Unterschriften zurückgegeben wurde, ihre Unterstützung gewähren, obwohl sie bereits einen anderen Wahlvorschlag unterschrieben haben, und sodann dem Wahlvorstand gegenüber erklären, die erste Unterschrift solle Gültigkeit haben, oder durch Verweigern einer entsprechenden Erklärung beide Unterschriften ungültig werden lassen, stellt schon deshalb keine die Wahlanfechtung rechtfertigende Behinderung der Aufstellung von Wahlvorschlägen dar, weil den Beschäftigten in § 10 Abs. 4 BPersVWO ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt worden ist, eine einmal geleistete Unterschrift unter einem Wahlvorschlag zurückzunehmen oder ungültig zu machen. Dafür, daß von dieser rechtlichen Möglichkeit in einer den Wahlvorschlag mit dem Kennwort „GDBA/GDL/CGDE” bewußt schädigenden, sittenwidrigen Weise Gebrauch gemacht wurde, gibt es keine Anhaltspunkte. Da sich insoweit auch keine tatsächlichen Feststellungen treffen lassen würden, sind die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht nicht gegeben (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 565 ZPO).
Die Rechtsbeschwerde war somit zurückzuweisen.
Unterschriften
Dr. Eckstein, Dr. Schinkel, Nettesheim, Ernst, Dr. Seibert
Fundstellen