Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbengemeinschaft. Nachlassgrundstück. Eigentumsverzicht. Erbanteil, staatliche Verwaltung. staatlicher Verwalter, Veräußerung. Volkseigentum als Alleinerbe. Wiederherstellung Gesamthandsgemeinschaft. Restitutionsausschluss
Leitsatz (amtlich)
Wurde eine erbrechtliche Mitberechtigung am Nachlassgrundstück von einer Schädigungsmaßnahme betroffen, ist eine Restitution möglich, wenn die Erbengemeinschaft im Schädigungszeitpunkt aus dem geschädigten Erbanteil und einem volkseigenen Anteil bestand.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 1 Buchst. c, § 4 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
VG Dresden (Entscheidung vom 06.06.2000; Aktenzeichen 3 K 543/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 6. Juni 2000 wird aufgehoben, soweit die Klage abgewiesen wurde.
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 16. Juni 1995 und des Widerspruchsbescheids des Sächsischen Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 13. Februar 1997 verpflichtet, das im Grundbuch von D., Gemarkung A., Blatt … (alt), Flurstück … unter Nr. … Buchst. … des Verzeichnisses der Eigentümer eingetragene Recht an die Klägerin zurückzuübertragen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin beansprucht nach dem Vermögensgesetz (VermG) die Rückübertragung ihrer erbrechtlichen Mitberechtigung an einem kriegszerstörten Grundstück.
Das Grundstück war das Nachlassvermögen des …49 verstorbenen Vaters der Klägerin. Er wurde von seiner Ehefrau zu einem Viertel und den sieben Kindern zu je drei Achtundzwanzigstel beerbt. Die Erbengemeinschaft blieb ungeteilt. Die Mitberechtigung der .1967 verstorbenen Mutter der Klägerin wurde laut Beschluss des Staatlichen Notariats D. vom 16. November 1968 in Volkseigentum überführt; zur Begründung wurde angegeben, dass alle bekannten Erben die Erbschaft ausgeschlagen hätten. Die Mitberechtigung der Klägerin, die im Jahre 1950 aus der DDR ausgereist war, stand gemäß § 6 der Verwalter-Verordnung vom 11. Dezember 1968 (GBl DDR 1969 II S. 1) unter staatlicher Verwaltung. Anfang 1984 beantragte ein Bruder der Klägerin im Auftrag der Miterben den Verzicht auf das Eigentum an dem Grundstück. Die Klägerin erklärte mit notarieller Urkunde vom 26. März 1984 den Verzicht auf ihre Mitberechtigung an dem Grundstück. Der Rat der Stadt D. genehmigte den Eigentumsverzicht am 3. Mai 1984. Laut Rechtsträgernachweis vom 9. Mai 1984 wurde der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung als Rechtsträger des volkseigenen Grundstücks eingesetzt. Nach dem Aktenvermerk eines Bediensteten des Rats der Stadt vom 7. Juni 1984 war das Grundstück mit Ausnahme der Mitberechtigung der Klägerin in Volkseigentum übergegangen. Darauf wurde deren Mitberechtigung „nacherfasst” und vom staatlichen Verwalter an das Eigentum des Volkes veräußert. Der Verwaltervermerk wurde am 16. Oktober 1984 im Grundbuch gelöscht. Zugleich wurde das Grundstück als Eigentum des Volkes eingetragen.
Die Klägerin beantragte im September 1990 die Rückübertragung ihrer Mitberechtigung an dem Grundstück. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Eigentumsverlust weder überschuldungsbedingt gewesen sei noch auf unlauteren Machenschaften beruht habe. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, die Entschädigungsberechtigung der Klägerin hinsichtlich ihres Rechts an dem Grundstück festzustellen, und die Klage im Übrigen abgewiesen: Die Klägerin sei Berechtigte, weil der staatliche Verwalter ihre Mitberechtigung an dem Grundstück veräußert und ihr damit das Eigentum entzogen habe. Die Rückübertragung sei von der Natur der Sache her ausgeschlossen. Das Recht der Klägerin sei untrennbar mit ihrer Zugehörigkeit zur Erbengemeinschaft verbunden gewesen. Diese Rechtsstellung könne nicht wiederhergestellt werden, da die Erbengemeinschaft nicht von einer schädigenden Maßnahme betroffen sei. Die Genehmigung des Eigentumsverzichts der übrigen Miterben habe zu einer Erbengemeinschaft des Volkseigentums und der Klägerin geführt. Mit der Veräußerung der Mitberechtigung durch den staatlichen Verwalter sei das Nachlassvermögen erschöpft gewesen und damit die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft erfolgt. Nach Übergang aller Erbanteile in das Volkseigentum sei die Rückübertragung des Rechts der Klägerin nicht mehr möglich. Diesem Ergebnis stehe der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. August 1999 – BVerwG 7 B 142.99 –, VIZ 2000, 216 nicht entgegen; der dort entschiedene Sachverhalt sei anders gelagert, weil in jenem Fall die Miterben nicht auf ihre Berechtigung verzichtet hätten und die Erbengemeinschaft nach dem schädigenden Ereignis noch jahrelang fortbestanden habe.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie trägt zur Begründung vor: Rechtliche Unmöglichkeit i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG schließe die Rückübertragung erbrechtlicher Mitberechtigungen nur dann aus, wenn diese zu einer Begünstigung anderer Miterben führen würde, deren Rechte von keiner Schädigungsmaßnahme betroffen worden seien. Ein solcher Verstoß gegen den Grundsatz der Konnexität scheide hier aus. Die Rechtsstellung der gegenwärtigen Verfügungsberechtigten werde durch eine Rückübertragung des Rechts der Klägerin nicht verbessert. Da die Veräußerung des Rechts einen Schädigungstatbestand erfüllt habe, könne darin keine Erbauseinandersetzung gesehen werden.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Sie hält das Recht der Klägerin nicht für restitutionsfähig, weil bei der Entscheidung über die Rückübertragung keine Erbengemeinschaft mehr bestanden habe. Sämtliche Miterben hätten ihre Erbanteile an das Volkseigentum als Eigentümer des früheren Erbanteils der Mutter der Klägerin übertragen. Die Übertragung der Erbanteile aller übrigen Miterben auf ein Mitglied der Erbengemeinschaft führe der Sache nach wie eine Erbauseinandersetzung zur Auflösung der Erbengemeinschaft. In einem solchen Fall sei die Rückübertragung einer geschädigten Mitberechtigung rechtlich unmöglich.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Rückübertragung der erbrechtlichen Mitberechtigung der Klägerin an dem Grundstück von der Natur der Sache her nicht mehr möglich sei (§ 4 Abs. 1 Satz 1 VermG), verletzt Bundesrecht. Da die Restitution nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, hat die Klage in vollem Umfang Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Rückübertragung für ausgeschlossen gehalten, weil die Rechtsstellung der Klägerin als Mitglied einer Erbengemeinschaft mangels Schädigung der übrigen Mitglieder der Erbengemeinschaft nicht wiederherstellbar und die durch die Veräußerung ihres ideellen Anteils bewirkte Vereinigung aller Miterbenanteile im Volkseigentum als Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft anzusehen sei. Beide Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Restitution zugunsten eines einzelnen Miterben nach § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG ausgeschlossen, wenn der Nachlassgegenstand ohne Schädigung der Erbengemeinschaft aus dem Nachlassvermögen ausgeschieden ist (Urteil vom 24. Oktober 1996 – BVerwG 7 C 14.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 93; Beschluss vom 7. November 1997 – BVerwG 7 B 370.97 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 51). Dieser Rechtsprechung liegt die Überlegung zugrunde, dass die frühere Berechtigung eines geschädigten Miterben an dem Nachlassgegenstand nicht unter Begünstigung der nicht von einer Schädigung betroffenen Miterben wiederhergestellt werden darf. Zu einer solchen dem Grundsatz der Konnexität widersprechenden Begünstigung kommt es, wenn lediglich ein Erbanteil geschädigt wurde, der mit untergegangenen, aber nicht geschädigten privaten Erbanteilen untrennbar in Erbengemeinschaft verbunden war; denn die Restitution des Erbanteils setzt eine Wiederherstellung der Erbengemeinschaft voraus, die mangels Schädigung der übrigen privaten Erbanteile nicht möglich ist.
Ist demgegenüber die Rechtsstellung des geschädigten Miterben ohne eine solche Begünstigung der nicht geschädigten Miterben wiederherstellbar, scheitert die Restitution nicht an dem Grundsatz, dass sie einer Schädigung der Betroffenen entsprechen muss. Eine solche Fallgestaltung besteht typischerweise dann, wenn ein privater Erbanteil geschädigt wurde, der in Erbengemeinschaft mit Volkseigentum stand, das ohne Schädigungsmaßnahme aus privaten Erbanteilen hervorgegangen ist. Auch in Fällen dieser Art setzt die Restitution des Erbanteils die Wiederherstellung der Erbengemeinschaft voraus. Das führt jedoch zu keiner Begünstigung dessen, der als Rechtsnachfolger des Volkseigentums über das Grundstückseigentum verfügungsbefugt ist. Die Beeinträchtigung seiner Rechtsstellung durch die Rückübertragung des geschädigten Erbanteils entspricht nach Gegenstand und Umfang der wiedergutzumachenden Schädigung, die seinem Rechtsvorgänger zugute gekommen ist.
Der Rückübertragung der erbrechtlichen Mitberechtigung an einem Grundstück steht angesichts des Zwecks der Wiedergutmachung nicht entgegen, dass diese Form des gemeinschaftlichen Eigentums dem allgemeinen Rechtsverkehr entzogen ist (Urteil vom 24. August 2000 – BVerwG 7 C 90.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 10). Auch das Nichtbestehen einer Erbengemeinschaft im Zeitpunkt der Rückübertragung schließt die Restitution des geschädigten Erbanteils nicht aus. Eine Erbengemeinschaft von Volkseigentum und privatem Erbanteil, die durch dessen Entzug schädigungsbedingt beendet wurde, ist im Wege der Restitution mit dem gegenwärtigen Verfügungsberechtigten wiederherzustellen (Beschluss vom 6. August 1999 – BVerwG 7 B 142.99 – a.a.O.).
Hiernach ist die Rückübertragung des Erbanteils der Klägerin nicht von der Natur der Sache her unmöglich. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Erbanteile der übrigen Miterben mit der Genehmigung des Eigentumsverzichts in Volkseigentum übergegangen sind und damit eine aus volkseigenen Anteilen sowie der staatlich verwalteten Mitberechtigung der Klägerin zusammengesetzte Erbengemeinschaft entstanden ist; unabhängig davon bestand eine solche „gemischte” Erbengemeinschaft bereits seit der Überführung des Erbanteils der Mutter der Klägerin in Volkseigentum. Durch die Restitution der Mitberechtigung wird die erbrechtliche Gesamthandsgemeinschaft zwischen der Klägerin und der Beklagten als Verfügungsberechtigter ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Konnexität in der Weise wiederhergestellt, wie sie vor der Schädigung der Klägerin bestand. Auf die Frage, wie lange diese Gesamthandsgemeinschaft bestanden hatte, kommt es rechtlich nicht an.
2. Nicht gefolgt werden kann auch der Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Veräußerung der Mitberechtigung der Klägerin an das Eigentum des Volkes die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft herbeigeführt habe.
Die Mitberechtigung der Klägerin wurde durch den staatlichen Verwalter veräußert. Damit wurde der Klägerin über den mit der staatlichen Verwaltung verbundenen Entzug ihrer Verfügungs-, Nutzungs- und Verwaltungsbefugnisse hinaus auch das Eigentum an ihrem ideellen Grundstücksanteil entzogen. Der staatliche Verwalter hat nicht lediglich an einer von der Erbengemeinschaft zum Zweck der Erbauseinandersetzung vorgenommenen Veräußerung des Nachlassgrundstücks mitgewirkt. Er hat – auf Veranlassung staatlicher Stellen – die Veräußerung der Mitberechtigung der Klägerin eigenständig und ohne Rücksicht auf den Willen der Eigentümerin betrieben; deren vor einem Notar in der Bundesrepublik abgegebene Verzichtserklärung ließen die DDR-Behörden nicht gelten, weil die Klägerin angesichts der angeordneten staatlichen Verwaltung nicht über ihr Recht verfügen durfte (vgl. Nr. V Abs. 1 der Hinweise und Erläuterungen des Ministeriums der Finanzen vom 8. Mai 1978 zur Durchführung des § 310 ZGB, abgedr. in: Schriftenreihe des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen, Heft 1, 1991, S. 389 ≪395≫). Eine solche Veräußerung der Mitberechtigung an einem Grundstück stellt eine das Eigentum betreffende staatliche Vermögensschädigung dar (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1994 – BVerwG 7 C 26.93 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 35; Urteil vom 24. Oktober 1996 – BVerwG 7 C 14.96 –, a.a.O.).
Das Verwaltungsgericht ist demgemäß davon ausgegangen, dass die Veräußerung des Rechts der Klägerin den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG erfüllt; dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Zu Unrecht hat es jedoch die Veräußerung als Teilakt der Erbauseinandersetzung angesehen. Der Eigentumsverzicht der Miterben konnte die endgültige Aufteilung des Nachlasses i.S. des § 2042 BGB bzw. des § 423 ZGB nicht bewirken, weil dem von der Klägerin erklärten Verzicht auf ihre staatlich verwaltete Mitberechtigung die rechtliche Anerkennung versagt blieb. Der genehmigte Eigentumsverzicht der übrigen Miterben stand einer Übertragung ihrer jeweiligen Erbanteile an das Volkseigentum gleich. Da die Erbengemeinschaft zwischen dem Volkseigentum und der Klägerin durch eine Schädigungsmaßnahme beendet worden ist, liegt keine vertragliche Erbauseinandersetzung vor. Ebenso wenig kann von einer Übertragung des Erbanteils der Klägerin i.S. des § 2033 Abs. 1 BGB bzw. des § 401 ZGB an das Volkseigentum die Rede sein, weil die Veräußerung des Erbanteils durch den staatlichen Verwalter nicht auf dem Willen der Klägerin beruhte. Deren Mitberechtigung an dem Grundstück ist erst mit der Veräußerung und damit im Zuge der schädigungsbedingten Auflösung der mit dem Volkseigentum bestehenden Erbengemeinschaft aus dem Nachlassvermögen ausgeschieden. Eine solche Schädigung ist durch Rückübertragung des Rechts unter Wiederherstellung der Erbengemeinschaft wiedergutzumachen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Franßen, Gödel, Kley, Herbert, Neumann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.09.2001 durch Nöpel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 650255 |
DÖV 2002, 131 |