Gesetzestext
(1)Die Annahme gilt als nicht erfolgt, wenn der Erbe über den Berufungsgrund im Irrtum war.
(2)Die Ausschlagung erstreckt sich im Zweifel auf alle Berufungsgründe, die dem Erben zur Zeit der Erklärung bekannt sind.
A. Allgemeines
Rz. 1
Der Irrtum über den Berufungsgrund nach § 1949 BGB ist von den konkurrierenden Anfechtungsregeln der §§ 1954 ff. BGB i.V.m. §§ 119 ff. BGB zu unterscheiden (zu den Konkurrenzen vgl. Rdn 6). § 1949 BGB erfordert keine Anfechtungserklärung. Der Irrtum über den Berufungsgrund kann daher insbesondere durch entgegengesetzte Erklärung, d.h. Annahme statt Ausschlagung oder Ausschlagung statt Annahme, geltend gemacht werden. Damit finden auch die allg. Anfechtungsregeln der §§ 119 ff. BGB – einschließlich der Schadensersatzpflicht des Anfechtenden nach § 122 BGB – für § 1949 BGB keine Anwendung. Nach h.M. gilt Abs. 1 entsprechend für die Ausschlagung.
B. Tatbestand
I. Irrtum über den Berufungsgrund (Abs. 1)
Rz. 2
Der Irrtum über den Berufungsgrund ist das unbewusste Auseinanderfallen zwischen dem vorgestellten und dem tatsächlichen Berufungsgrund. Das Tatbestandsmerkmal des "Berufungsgrundes" wird z.T. weiter verstanden als in §§ 1944, 1948 BGB; für einen Irrtum über den Berufungsgrund i.S.d. § 1949 BGB soll schon ein Irrtum über die Anknüpfungstatsachen des Erbrechts und damit über die Art und Weise der konkreten Berufung ausreichen, wenn dadurch die Identität des Tatbestandes in Frage gestellt wird. Andere wollen auch i.R.d. § 1949 BGB auf die Definition des Berufungsgrundes nach §§ 1944, 1948 BGB zurückgreifen (vgl. auch die Abgrenzung bei § 1948 Rdn 1). Letztere Auffassung überzeugt wegen ihrer systematischen Anknüpfung und der Vermeidung von Abgrenzungsproblemen zugunsten der Rechtssicherheit sowie dem Schutz der Nachlassgläubiger. In der Praxis hat dieser Streitstand allerdings kaum Konsequenzen. Nach h.M. ist auch eine unrichtige Vorstellung über die rechtlichen Verhältnisse des vorgestellten Berufungsgrundes (Rechtsirrtum) i.R.d. § 1949 BGB beachtlich. Folgende Fälle sollen beispielhaft dargestellt werden (vgl. auch § 1948 Rdn 1):
Irrtum über den Berufungsgrund (Abs. 1) |
Ja |
Nein |
Erbe stellt sich vor, aufgrund Verwandtschaft berufen zu sein, ist aber tatsächlich als Ehegatte berufen |
x |
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Erbe stellt sich vor, gesetzlicher Erbe zu sein, erbt rechtstatsächlich aber im Wege letztwilliger Verfügung |
x |
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Erbe stellt sich vor, aufgrund von Testament Nr. 1 zu erben, er erbt jedoch aufgrund von Testament Nr. 2 (oder Erbvertrages) |
x |
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Irrtum über nicht wesentliche Einzelheiten eines Erbvertrages (eines Testaments) |
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x |
Rz. 3
Kein Irrtum in diesem Sinne liegt vor, wenn der Erbe sich keinerlei Gedanken über den Berufungsgrund macht. Bei Stellvertretung gelten insoweit die zu § 1944 BGB dargelegten Grundsätze (vgl. § 1944 Rdn 3 f.). Auch die stillschweigende Annahme (§ 1943 BGB) kann mangels Kenntnis des Berufungsgrundes und damit mangels Auslösung der Ausschlagungsfrist kein Fall des Abs. 1 sein.
Rz. 4
Als Rechtsfolge des Irrtums sieht Abs. 1 vor, dass die Annahme als nicht erfolgt gilt und damit nichtig ist. Bei der entsprechenden Anwendung von Abs. 1 auf die Ausschlagung ist in der Rechtsfolge das Kenntnismoment besonders zu beachten. Gem. Abs. 2 ist der Irrtum über den Berufungsgrund auch für die Ausschlagung relevant. Hiernach bezieht sich eine erklärte Ausschlagung nämlich nur auf bekannte Berufungsgründe. Ist dagegen der ausschlaggebende Berufungsgrund nicht bekannt, so kann er auch nicht von der Ausschlagung umfasst sein. Trotz erklärter Ausschlagung oder Annahme ist damit bei nachträglicher Kenntnis vom wahren Berufungsgrund noch die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft nach den allgemeinen Vorschriften möglich.
II. Auslegungsregel (Abs. 2)
Rz. 5
Die Auslegungsregel des Abs. 2 dient der Rechtssicherheit in der Nachlassabwicklung und bestimmt, dass eine pauschale Ausschlagung der Erbschaft im Zweifel alle dem Ausschlagenden bekannten Berufungsgründe erfasst. Erklärt beispielsweise der gewillkürte vorläufige Alleinerbe, der durch die Ausschlagung der Erbschaft aufgrund letztwilliger Verfügung zugleich auch unmittelbarer gesetzlicher Erbe wäre, die Ausschlagung, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass sich die Ausschlagung auf beide Berufungsgründe bezieht, wenn er beide Berufungsgründe kennt. Das Gesetz vermutet damit grundsätzlich eine vollständige Loslösung von der Erbschaft. Fällt die Erbschaft aber zukünftig erst in Folge weiterer Ereignisse – etwa Ausschlagungen ersatzweise berufen...