Rz. 4

Sowohl der Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) als auch der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) können die Anfechtung des Fristablaufs rechtfertigen. Anders als beim Eigenschaftsirrtum liegt der Anfechtungsgrund nicht in einer fehlerhaften Beurteilung der Realität, sondern in einem Irrtum über die Erklärung selbst. Zu beachten ist hierbei aber, dass eine Willenserklärung nur fiktiv durch den Ablauf der Ausschlagungsfrist erfolgt, so dass nur eine analoge Anwendbarkeit des § 119 Abs. 1 BGB in Betracht kommt, wobei die beiden Tatbestandsalternativen richtigerweise als Einheit behandelt werden können.[3] Demnach liegt ein Anfechtungsgrund vor, wenn der Ausschlagungsberechtigte durch den Fristablauf nicht die Annahme erklären wollte.

 

Rz. 5

Hierunter können jedenfalls die Fälle subsumiert werden, in denen der Ausschlagungsberechtigte die Ausschlagungsfrist bewusst verstreichen lässt, weil er bspw. annimmt, dass

der Fristablauf eine Annahmefiktion begründe;[4]
er die Erbschaft bereits wirksam ausgeschlagen habe, etwa weil er über die Amtszuständigkeit irrt,[5] er die Ausschlagung unter Verstoß gegen § 1947 BGB oder ohne eine notwendige familiengerichtliche Genehmigungen erklärt hat.[6]
 

Rz. 6

Problematischer sind die Fälle, in denen der Ausschlagungsberechtigte im Irrtum über das Bestehen der Ausschlagungsfrist ist und diese damit unbewusst verstreichen lässt. Dieses unbewusste Verstreichenlassen führt jedoch dazu, dass ein Ansatzpunkt für die irrtumsbedingte Anfechtung fehlt. Dennoch lässt die h.M. auch die Anfechtung des unbewussten Fristablaufs zu, wobei der kausale Irrtum dadurch ersetzt wird, dass im Zeitpunkt des Endes der Ausschlagungsfrist überhaupt ein vernünftiger Beweggrund zur Ausschlagung (z.B. Überschuldung des Nachlasses) vorhanden war, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig zur Ausschlagung führt.[7] Zu beachten ist jedoch, dass in diesen Fällen zunächst genau zu prüfen ist, ob die Ausschlagungsfrist überhaupt schon begonnen hat (vgl. § 1944 Rdn 1 ff.).

Die erforderliche Kausalität liegt vor, wenn weder der Irrende selbst noch ein unparteiischer Beobachter unter objektiver Würdigung der Gesamtumstände ohne den Irrtum die Annahme erklärt oder die Abgabe einer wirksamen Ausschlagungserklärung versäumt hätte.[8] Es ist auf den Zeitpunkt des Fristablaufs abzustellen.[9]

[3] MüKo/Leipold, § 1956 Rn 7.
[4] Palandt/Weidlich, § 1945 Rn 1 ff.
[5] OLG Zweibrücken NJW-RR 2006, 1594; BayObLG NJW-RR 1994, 586.
[6] BayObLG Rpfleger 1994, 168; BayObLG FamRZ 1983, 834; MüKo/Leipold, § 1956 Rn 9.
[7] OLG Köln MDR 1980, 493; LG Bonn Rpfleger 1985, 148 m. abl. Anm. Stein; MüKo/Leipold, § 1956 Rn 9; Staudinger/Otte, § 1956 Rn 3.
[8] BGH ZEV 2015, 468, 469 m.w.N.
[9] BGH ZEV 2015, 468, 469 m.w.N.

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