Gesetzestext
Die Versäumung der Ausschlagungsfrist kann in gleicher Weise wie die Annahme angefochten werden.
A. Allgemeines
Rz. 1
Für die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist verweist § 1956 BGB auf sämtliche Anfechtungsmöglichkeiten und -fristen des § 1954 BGB. Denn Versäumung der Ausschlagungsfrist steht der Erklärung der Annahme gleich (§ 1943 BGB). Damit wird in bedeutsamer Abweichung zu den allg. Regeln die Anfechtbarkeit einer Fiktion bzw. eines Rechtsfolgenirrtums zugelassen, da eine Willenserklärung in diesem Fall nicht gegeben ist.
B. Tatbestand
Rz. 2
Als Anfechtungsgrund kommen hier grundsätzlich die §§ 119 und 123 BGB in Betracht (vgl. allg. § 1954 Rdn 2 ff.).
I. Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums
Rz. 3
Der Eigenschaftsirrtum gem. § 119 Abs. 2 BGB beruht auf der unrichtigen Beurteilung verkehrswesentlicher Eigenschaften, also bspw. über den Bestand des Nachlasses. Soweit dieser Irrtum kausal für den Fristablauf gewesen ist, kann der Ausschlagungsberechtigte hierauf die Anfechtung stützen. Das Kausalitätskriterium erfordert hier jedoch, dass nur die bewusste Fristversäumnis beachtlich sein kann, weil ansonsten nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Fehlvorstellung über die verkehrswesentliche Eigenschaft den Willen zur Fristversäumnis und damit zur Ausschlagung bewirkt hat.
II. Anfechtung wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums
Rz. 4
Sowohl der Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) als auch der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) können die Anfechtung des Fristablaufs rechtfertigen. Anders als beim Eigenschaftsirrtum liegt der Anfechtungsgrund nicht in einer fehlerhaften Beurteilung der Realität, sondern in einem Irrtum über die Erklärung selbst. Zu beachten ist hierbei aber, dass eine Willenserklärung nur fiktiv durch den Ablauf der Ausschlagungsfrist erfolgt, so dass nur eine analoge Anwendbarkeit des § 119 Abs. 1 BGB in Betracht kommt, wobei die beiden Tatbestandsalternativen richtigerweise als Einheit behandelt werden können. Demnach liegt ein Anfechtungsgrund vor, wenn der Ausschlagungsberechtigte durch den Fristablauf nicht die Annahme erklären wollte.
Rz. 5
Hierunter können jedenfalls die Fälle subsumiert werden, in denen der Ausschlagungsberechtigte die Ausschlagungsfrist bewusst verstreichen lässt, weil er bspw. annimmt, dass
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der Fristablauf eine Annahmefiktion begründe; |
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er die Erbschaft bereits wirksam ausgeschlagen habe, etwa weil er über die Amtszuständigkeit irrt, er die Ausschlagung unter Verstoß gegen § 1947 BGB oder ohne eine notwendige familiengerichtliche Genehmigungen erklärt hat. |
Rz. 6
Problematischer sind die Fälle, in denen der Ausschlagungsberechtigte im Irrtum über das Bestehen der Ausschlagungsfrist ist und diese damit unbewusst verstreichen lässt. Dieses unbewusste Verstreichenlassen führt jedoch dazu, dass ein Ansatzpunkt für die irrtumsbedingte Anfechtung fehlt. Dennoch lässt die h.M. auch die Anfechtung des unbewussten Fristablaufs zu, wobei der kausale Irrtum dadurch ersetzt wird, dass im Zeitpunkt des Endes der Ausschlagungsfrist überhaupt ein vernünftiger Beweggrund zur Ausschlagung (z.B. Überschuldung des Nachlasses) vorhanden war, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig zur Ausschlagung führt. Zu beachten ist jedoch, dass in diesen Fällen zunächst genau zu prüfen ist, ob die Ausschlagungsfrist überhaupt schon begonnen hat (vgl. § 1944 Rdn 1 ff.).
Die erforderliche Kausalität liegt vor, wenn weder der Irrende selbst noch ein unparteiischer Beobachter unter objektiver Würdigung der Gesamtumstände ohne den Irrtum die Annahme erklärt oder die Abgabe einer wirksamen Ausschlagungserklärung versäumt hätte. Es ist auf den Zeitpunkt des Fristablaufs abzustellen.
III. Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung
Rz. 7
Bei einer Anfechtung der Fristversäumung nach § 123 BGB ist darauf abzustellen, ob der vorläufige Erbe durch arglistige Täuschung oder Drohung dazu genötigt wurde, die Ausschlagung nicht fristgemäß zu erklären, ohne dass es darauf ankommt, ob er die Frist bewusst oder unbewusst hat verstreichen lassen.
C. Sonderregelungen/Verfahrensfragen
Rz. 8
Form und Frist der Anfechtung nach § 1956 BGB richten sich schließlich ebenfalls nach §§ 1954, 1955 BGB. Die von den gesetzlichen Vertretern für den vorläufigen Erben eingeholten Genehmigungen von Familien- oder Betreuungsgericht (vgl. § 1945 Rdn 11) für eine Erklärung der Ausschlagung decken auch die Anfechtungserklärung nach § 1956 BGB ab. Eine Anfechtung der Anfechtung nach § 1956 BGB analog wegen Versäumung der Anfechtungsfrist ist mangels Analogiefähigkeit der spe...