Rz. 11
Nicht in allen Fällen, in denen Unklarheit über den endgültigen Erben besteht, können staatliche Fürsorgemaßnahmen angeordnet werden. Voraussetzung ist zusätzlich das Vorliegen eines entsprechenden Sicherungsbedürfnisses, das auf der einen Seite staatliches Einschreiten begründet, auf der anderen Seite aber auch begrenzt. Ob ein Sicherungsbedürfnis besteht, hat das Nachlassgericht einzelfallbezogen zu entscheiden. Dabei sind für die Beurteilung die Interessen des endgültigen Erben an einer Sicherung und Verwaltung des Nachlasses maßgebend. Ohne Bedeutung sind insoweit die Interessen der Nachlassgläubiger (siehe aber die Sonderregelung des § 1961 BGB). Deren Interessen wird durch die Möglichkeit Rechnung getragen, einen Antrag auf Anordnung der Nachlassverwaltung gem. §§ 1975, 1981 Abs. 2 BGB zu stellen.
Rz. 12
Ob ein Fürsorgebedürfnis besteht, ist vom Standpunkt des Nachlassgerichts bzw. des im Beschwerdeverfahren an dessen Stelle tretenden Beschwerdegerichts aus zu beurteilen. Maßgebend ist der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sicherungsmaßnahme. Ein Fürsorgebedürfnis besteht, wenn ohne das Eingreifen des Nachlassgerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet wäre. Die Gefährdung des Nachlasses muss sich allerdings noch nicht konkretisiert haben. Es reicht aus, dass der Erbe von dem Anfall der Erbschaft keine Kenntnis hat und aus diesem Grund den Nachlass nicht in Besitz nehmen kann. In einem solchen Fall ist vorrangiger Zweck der Fürsorgemaßnahmen die Erbenermittlung. Eine Gefährdung des Nachlasses kann auch darin liegen, dass bestehende Nachlassverbindlichkeiten (z.B. Mietschulden, Kontoführungsgebühren) stetig ansteigen.
Rz. 13
An einem Fürsorgebedürfnis fehlt es, wenn der Nachlass von dem Ehegatten, den Eltern oder Abkömmlingen des Erblassers ordnungsgemäß verwaltet wird und missbräuchliche Verfügungen vor Erbscheinserteilung ausgeschlossen sind. Ein Fürsorgebedürfnis wird auch zu verneinen sein, wenn ein zur Vermögenssorge Bevollmächtigter vorhanden ist, dessen Vollmacht über den Tod des Erblassers hinauswirkt und nicht widerrufen worden ist. Anders liegt der Fall, wenn der Bevollmächtigte selbst zum Kreis der potenziellen Erben gehört und Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und Neutralität bestehen. Wenn der Nachlass nach Art und Umfang eine ungewöhnlich schwierige und bedeutsame Verwaltung erfordert, die nach den Umständen der vom Erblasser bestimmte Bevollmächtigte nicht gewährleisten kann, ist ebenfalls von einem Fürsorgebedürfnis auszugehen. An einem Sicherungsbedürfnis wird es i.d.R. fehlen, wenn Nachlassverwaltung angeordnet worden ist oder wenn ein vom Erblasser gem. § 2197 BGB bestimmter und vertrauenswürdiger Testamentsvollstrecker im Amt ist, dessen Aufgabe es ist, den Nachlass zu verwalten, und dessen Überwachung durch staatliche Fürsorgemaßnahmen einer Missachtung des Erblasserwillens gleichkäme. Solange Zweifel an einer wirksamen Anordnung der Testamentsvollstreckung bestehen, die Person des Testamentsvollstreckers ungewiss ist, der Testamentsvollstrecker sein Amt noch nicht angenommen hat (§ 2202 Abs. 2 BGB) oder wenn die Neutralität des Testamentsvollstreckers zweifelhaft ist, kann ein Fürsorgebedürfnis bestehen. Ein Fürsorgebedürfnis kann auch für den Fall gegeben sein, dass der Nachlasspfleger Rechte der unbekannten Erben gegenüber dem Testamentsvollstrecker wahrnehmen soll. Ein Sicherungsbedürfnis kann auch während des Nachlassinsolvenzverfahrens bestehen, wenn der Nachlasspfleger Rechte und Pflichten des noch nicht feststehenden Erben-Insolvenzschuldners wahrnimmt.
Rz. 14
Ist ein Minderjähriger ohne Eltern zum Erben berufen, so fehlt es an einem Bedürfnis i.S.d. Abs. 1 S. 1 im Hinblick darauf, dass sich die Fürsorge des zu bestellenden Vormunds auch auf den angefallenen Nachlass erstreckt. Kann eine Sicherung des Nachlasses auf andere und einfachere Weise erreicht werden, etwa durch Antrag auf einstweilige Verfügung (§ 938 ZPO), so fehlt es auch in diesem Fall an einem Sicherungsbedürfnis. Zu beachten ist allerdings, dass gerichtliche Anordnungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nur inter partes wirken und deshalb gegenüber einem den Nachlass gefährdenden Dritten keine Wirkung entfalten. Auf der anderen Seite führen nicht schon die dem Betreuer obliegenden Abwicklungsverpflichtungen beim Tod des Betreuten zur Verneinung des Sicherungsbedürfnisses.