Dr. Jens Tersteegen, Prof. Dr. Thomas Reich
Rz. 248
Vermächtnisse werden mit dem Steuerwert des jeweils vermachten Gegenstandes bewertet. Wird ein Geldvermächtnis ausgesetzt, muss der Vermächtnisnehmer den Nennwert versteuern; wird ein Grundstück als Vermächtnis ausgesetzt, ist dieses nach allgemeinen Vorschriften zu bewerten.
Rz. 249
Korrespondierend kann der Erbe bzw. die Erbengemeinschaft gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG den Steuerwert des Vermächtnisses als Nachlassverbindlichkeit abziehen, die den erbschaftsteuerlichen Erwerb mindert.
Rz. 250
Bei einem Geldvermächtnis ist immer der Nennbetrag der Geldforderung maßgeblich; dies gilt auch dann, wenn der Vermächtnisnehmer sich an Erfüllung statt bereit erklärt, ein Grundstück aus dem Nachlass zu übernehmen. Dann handelt es sich nämlich nicht um einen Erwerb "durch Vermächtnis", sondern um einen Erwerb "aufgrund eines Vermächtnisses". Die Erfüllungswirkung des § 364 BGB oder auch die des § 389 BGB unterscheidet sich nicht von der des § 362 Abs. 1 BGB; der Vermächtnisnehmer hat eine Geldforderung erworben. Das Gleiche gilt erst recht, wenn der Vermächtnisnehmer vom Erben ein zum Nachlass gehörendes Grundstück käuflich erwirbt und einen Teilbetrag der Kaufpreisforderung durch Aufrechnung mit seiner Vermächtnisforderung tilgt.
Rz. 251
Bei einem Kaufrechtsvermächtnis wird dem Vermächtnisnehmer das Recht eingeräumt, einen Nachlassgegenstand zu einem bestimmten (meist vergünstigten) Preis zu erwerben. Gegenstand des Vermächtnisses ist das durch den Erbfall begründete Gestaltungsrecht, den Vermächtnisgegenstand zu erwerben. Die Steuer für diesen Erwerb entsteht – anders als bei Sachvermächtnissen – allerdings erst, wenn der Bedachte das Recht geltend macht.
Beispiel:
Erblasser E wendet seinem Freund F ein Kaufrechtsvermächtnis zu, die Jagdhütte, in der sie immer gemeinsam gezecht haben, für 50.000 EUR zu erwerben. Die Jagdhütte hat einen nach Bewertungsgesetz ermittelten Wert von 120.000 EUR. Übt F das Recht aus, beträgt der erbschaftsteuerpflichtige Erwerb 70.000 EUR. Darüber hinaus hat F – abhängig vom Bundesland der Belegenheit der Immobilie – auf den Kaufpreis von 50.000 EUR eine Grunderwerbsteuer von 3,5–6,5 % entrichten.
Rz. 252
Der Verpflichtete (Erbe oder Erbengemeinschaft), der den Vermächtnisgegenstand als Erwerb versteuern muss, darf als Vermächtnisverbindlichkeit nur den Differenzbetrag zwischen Kaufpreis und Wert des Vermächtnisgegenstandes abziehen. Anders als früher, als Grundstücke häufig nur mit einem Bruchteil ihres wahren Wertes bewertet wurden, können sich keine negativen Werte mehr ergeben. Aus der Bewertung können regelmäßig keine Vorteile mehr erzielt werden. Damals blieb das Kaufrechtsvermächtnis bei der Nachlassbewertung häufig unberücksichtigt, da der Verpflichtete aus steuerlicher Sicht nicht messbar belastet war.
Rz. 253
Bei einem Wahlvermächtnis steht dem Bedachten das Recht zu, aus bestimmten näher genannten Nachlassgegenständen einen Vermächtnisgegenstand auszuwählen. Bei einem Wahlvermächtnis richtet sich der Anspruch bereits vom Erbfall an ausschließlich auf den Gegenstand, für den sich der Bedachte später entscheidet. Allein dieser Gegenstand ist nach den Wertverhältnissen im Zeitpunkt des Erbfalls zu bewerten.
Rz. 254
Bei einem Verschaffungsvermächtnis wendet der Erblasser einen Anspruch auf Verschaffung eines Gegenstandes zu (§ 2170 BGB), der sich also nicht im Nachlass befindet, sondern vom Erben erst noch beschafft werden muss. Das Verschaffungsvermächtnis wird mit dem Wert des aufzuwendenden Geldbetrags bewertet.
Rz. 255
Da es keine wesentlichen Bewertungsunterschiede mehr gibt, hat das Vermächtnis – soweit es darum ging Bewertungsvorteile weiterzureichen – seine Bedeutung verloren. Das Vermächtnis kann dann allerdings etwa noch Bedeutung haben, wenn Vermögen von einem nur beschränkt steuerpflichtigen Erblasser teilweise beschränkt, teilweise unbeschränkt steuerpflichtigen Erben hinterlassen wird. Dann kann eine Steuerpflicht des Auslandsvermögens durch Vermächtnisregelungen teilweise vermieden werden.
Rz. 256
Die für Betriebsvermögen geltenden Begünstigungen können durch ein Verschaffungsvermächtnis hingegen nicht genutzt werden, da die Begünstigung des § 13a ErbStG voraussetzt, dass das Vermögen vom Erblasser stammt. Bei vermieteten Immobilien soll demgegenüber die Begünstigung des § 13d ErbStG gewährt werden.