Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Europäisches Mahnverfahren. Verspäteter Einspruch. Überprüfung in außergewöhnlichen Fällen. Fehlen außergewöhnlicher Umstände
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofes Art. 99; Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 Art. 20
Beteiligte
Logicdata Electronic & Software Entwicklungs GmbH |
Tenor
Die Nichteinhaltung der Frist für die Einlegung eines Einspruchs gegen einen Europäischen Zahlungsbefehl aufgrund eines Fehlverhaltens des Vertreters des Antragsgegners rechtfertigt keine Überprüfung dieses Zahlungsbefehls, da ein solches Fristversäumnis weder im Sinne von Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens noch im Sinne von Abs. 2 dieses Artikels außergewöhnliche Umstände darstellt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Handelsgericht Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 11. Juni 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juli 2012, in dem Verfahren
Novontech-Zala kft.
gegen
Logicdata Electronic & Software Entwicklungs GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), der Richter E. Jarašiūnas und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader und des Richters C. G. Fernlund,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Novontech-Zala kft. (im Folgenden: Novontech-Zala) mit Sitz in Ungarn und der Logicdata Electronic & Software Entwicklungs GmbH (im Folgenden: Logicdata) mit Sitz in Österreich.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 1896/2006
Rz. 3
Der 25. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1896/2006 lautet:
„Nach Ablauf der Frist für die Einreichung des Einspruchs sollte der Antragsgegner in bestimmten Ausnahmefällen berechtigt sein, eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls zu beantragen. Die Überprüfung in Ausnahmefällen sollte nicht bedeuten, dass der Antragsgegner eine zweite Möglichkeit hat, Einspruch gegen die Forderung einzulegen. Während des Überprüfungsverfahrens sollte die Frage, ob die Forderung begründet ist, nur im Rahmen der sich aus den vom Antragsgegner angeführten außergewöhnlichen Umständen ergebenden Begründungen geprüft werden. Zu den anderen außergewöhnlichen Umständen könnte auch der Fall zählen, dass der Europäische Zahlungsbefehl auf falschen Angaben im Antragsformular beruht.”
Rz. 4
Im 28. Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt es:
„Die Berechnung der Fristen sollte nach Maßgabe der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom 3. Juni 1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine [ABl. L 124, S. 1] erfolgen. Der Antragsgegner sollte darüber unterrichtet sowie darauf hingewiesen werden, dass dabei die gesetzlichen Feiertage in dem Mitgliedstaat des Gerichts, das den Europäischen Zahlungsbefehl erlässt, berücksichtigt werden.”
Rz. 5
Art. 1 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:
„Diese Verordnung hat Folgendes zum Ziel:
- Vereinfachung und Beschleunigung der grenzüberschreitenden Verfahren im Zusammenhang mit unbestrittenen Geldforderungen und Verringerung der Verfahrenskosten durch Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens;
…”
Rz. 6
Art. 16 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1896/2006 bestimmt:
„(1) Der Antragsgegner kann beim Ursprungsgericht Einspruch gegen den Europäischen Zahlungsbefehl … einlegen …
(2) Der Einspruch muss innerhalb von 30 Tagen ab dem Tag der Zustellung des Zahlungsbefehls an den Antragsgegner versandt werden.
(3) Der Antragsgegner gibt in dem Einspruch an, dass er die Forderung bestreitet, ohne dass er dafür eine Begründung liefern muss.”
Rz. 7
Art. 20 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung sieht vor:
„(1) Nach Ablauf der in Artikel 16 Absatz 2 genannten Frist ist der Antragsgegner berechtigt, bei dem zuständigen Gericht des Ursprungsmitgliedstaats eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls zu beantragen, falls
…
b) der Antragsgegner aufgrund höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden keinen Einspruch gegen die Forderung einlegen konnte,
wobei in beiden Fällen vorausgesetzt wird, dass er unverzüglich tätig wird.
(2) Ferner ist der Antragsgegner nach Ablauf der in Artikel 16 Absatz 2 genannten Frist berechtigt, bei dem zuständigen Gericht des Ursprungsmitgliedstaats eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls zu beantragen, falls der Europäische Zahlungsbefehl gemessen an d...