Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Anwendungsbereich der Richtlinie. Klausel, wonach sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach den allgemeinen Vorschriften bestimmt. Missbräuchlichkeitskontrolle von Amts wegen. Pflichten und Befugnisse des nationalen Gerichts
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 1 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
1. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass eine Vertragsklausel wie die im Ausgangsverfahren streitige, die hinsichtlich der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien allgemein auf das einschlägige nationale Recht verweist, nicht vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen ist.
2. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass er Verfahrensvorschriften nicht entgegensteht, auf die eine Vertragsklausel verweist und die dem Gewerbetreibenden für eine Klage wegen geltend gemachter Nichterfüllung eines Vertrags durch den Verbraucher die Wahl zwischen dem zuständigen Gericht des Wohnorts des Beklagten und dem des Erfüllungsorts des Vertrags ermöglichen, sofern die Wahl des Erfüllungsorts des Vertrags für den Verbraucher keine Verfahrensbedingungen zur Folge hat, die geeignet sind, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das ihm die Unionsrechtsordnung verleiht, übermäßig einzuschränken, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy w Poznaniu (Bezirksgericht Posen, Polen) mit Entscheidung vom 11. April 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 17. April 2018, in dem Verfahren
Aqua Med sp. z o.o.
gegen
Irena Skóra
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Aqua Med sp. z o.o., vertreten durch T. Babecki, radca prawny,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García, M. Wilderspin und S. L. Kalėda als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) und das Urteil vom 4. Juni 2009, Pannon GSM (C-243/08, EU:C:2009:350).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Aqua Med sp. z o.o. und Frau Irena Skóra über die örtliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte für die Klage eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher auf Kaufpreiszahlung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Die Richtlinie 93/13
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 13 und 24 der Richtlinie 93/13 heißt es:
„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften’ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.
…
Die Gerichte oder Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten müssen über angemessene und wirksame Mittel verfügen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird.”
Rz. 4
Art. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:
„(1) Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.
(2) Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften … beruhen, … unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.”
Rz. 5
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.”
Rz. 6
In Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 he...