Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Verbraucherkredit. Kontrolle der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln. Nichterscheinen des Verbrauchers. Umfang der von Amts wegen wahrzunehmenden richterlichen Befugnisse

 

Normenkette

Richtlinie 93/13/EWG Art. 7 Abs. 1

 

Beteiligte

Kancelaria Medius

Kancelaria Medius SA

RN

 

Tenor

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass er der Auslegung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die ein Gericht, das mit einer in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Klage eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher befasst ist und ein Versäumnisurteil erlässt, wenn der Verbraucher trotz Ladung nicht zur Verhandlung erscheint, daran hindert, die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um die Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln, auf die der Gewerbetreibende sein Begehren gestützt hat, von Amts wegen zu prüfen, wenn das Gericht Zweifel daran hat, ob die Klauseln missbräuchlich im Sinne der Richtlinie sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy w Poznaniu (Bezirksgericht Posen, Polen) mit Entscheidung vom 14. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juni 2019, in dem Verfahren

Kancelaria Medius SA

gegen

RN

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters N. Jääskinen,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Kancelaria Medius SA, vertreten durch D. Woźniak, adwokat,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und R. Kissné Berta als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kancelaria Medius SA und RN wegen einer gegen RN aufgrund eines Verbraucherkreditvertrags erhobenen Forderung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.”

Rz. 4

In Art. 2 Buchst. b und c der Richtlinie werden die Begriffe „Verbraucher” und „Gewerbetreibender” wie folgt definiert:

„b) ‚Verbraucher’: eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;

c) ‚Gewerbetreibender’: eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist”.

Rz. 5

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.”

Rz. 6

In Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.”

Rz. 7

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.”

Polnisches Recht

Rz. 8

Art. 339 des Kodeks postępowania cywilnego (Zivilprozessordnung) legt fest:

„(1) Erscheint der Beklagte in der für eine Verhandlung anberaumten Sitzung nicht oder beteiligt er sich trotz des Erscheinens nicht an der Verhandlung, so erlässt das Gericht ein Versäumnisurteil.

(2) In diesem Fall werden die Ausführungen des Klägers zum Sachverhalt in der Klageschrift oder in den dem Beklagten vor d...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge