Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Nicht ausschließliche Lizenzvereinbarung. Patent. Nichtverletzung. Verpflichtung zur Zahlung einer Gebühr
Normenkette
AEUV Art. 101
Beteiligte
Sanofi-Aventis Deutschland GmbH |
Tenor
Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass dem Lizenznehmer mit einer Lizenzvereinbarung wie der des Ausgangsverfahrens die Verpflichtung auferlegt wird, im Fall der Nichtigerklärung oder der Nichtverletzung des lizenzierten Patents während der gesamten Laufzeit der Vereinbarung eine Gebühr für die Verwendung der patentierten Technologie zu zahlen, da der Lizenznehmer diese Vereinbarung mit einer angemessenen Frist kündigen konnte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d'appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) mit Entscheidung vom 23. September 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Dezember 2014, in dem Verfahren
Genentech Inc.
gegen
Hoechst GmbH,
Sanofi-Aventis Deutschland GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter A. Arabadjiev, J.-C. Bonichot, C. G. Fernlund (Berichterstatter) und E. Regan,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Genentech Inc., vertreten durch E. Kleiman, S. Saleh, C. Ritz, L. De Maria, E. Gaillard und J. Philippe, avocats, sowie die Rechtsanwälte P. Chrocziel und T. Lübbig,
- der Hoechst GmbH und der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, vertreten durch A. Wachsmann, A. van Hooft, M. Barbier, A. Fisselier und T. Elkins, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, D. Segoin und J. Bousin als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und M. de Ree als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Dawes, B. Mongin und F. Castilla Contreras als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. März 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Genentech Inc. einerseits und der Hoechst GmbH und der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH andererseits über die Nichtigerklärung eines Schiedsspruchs betreffend die Erfüllung eines Lizenzvertrags über Patentrechte.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rz. 3
Am 6. August 1992 gewährte die Behringwerke AG Genentech eine nicht ausschließliche weltweite Lizenz (im Folgenden: Lizenzvereinbarung) für die Nutzung eines aus dem menschlichen Cytomegalovirus abgeleiteten Enhancers (im Folgenden: HCMV-Enhancer). Diese Technologie war Gegenstand des am 22. April 1992 erteilten und am 12. Januar 1999 widerrufenen europäischen Patents Nr. EP 0173 177 53 und der beiden am 15. Dezember 1998 und am 17. April 2001 in den Vereinigten Staaten erteilten Patente US 522 und US 140.
Rz. 4
Genentech nutzte den HCMV-Enhancer, um die Transkription eines Abschnitts der Desoxyribonukleinsäure (DNS) zu erleichtern, der zur Herstellung eines biologischen Arzneimittels mit dem Wirkstoff Rituximab erforderlich ist. Genentech vertreibt dieses Arzneimittel in den Vereinigten Staaten unter dem Handelsnamen Rituxan und in der Europäischen Union unter dem Handelsnamen MabThera.
Rz. 5
Für die Lizenzvereinbarung galt deutsches Recht.
Rz. 6
Nach Art. 3.1 der Lizenzvereinbarung verpflichtete sich Genentech als Gegenleistung für das Recht zur Nutzung des HCMV-Enhancers zur Zahlung
- einer einmaligen Gebühr von 20 000 Deutschen Mark (DM) (etwa 10 225 Euro),
- einer jährlichen festen Gebühr von 20 000 DM und
- einer laufenden Gebühr von 0,5 % des Nettoumsatzes mit Fertigerzeugnissen des Lizenznehmers und seiner Tochtergesellschaften und Unterlizenznehmer.
Rz. 7
Die Lizenzvereinbarung definiert „Fertigerzeugnisse” als „kommerziell handelbare Waren, die ein Lizenzprodukt enthalten und in einer Form verkauft werden, die ihre Verabreichung an Patienten zu therapeutischen Zwecken ermöglicht oder im Rahmen eines Diagnoseverfahrens verwendet wird, und die vor ihrer Verwendung weder auf eine neue Zubereitung, Behandlung, Neuverpackung oder Neuetikettierung gerichtet sind noch als solche gehandelt werden”. Der Begriff „Lizenzprodukte” ist in dieser Vereinbarung definiert als „Materialien (einschließlich Organismen) deren Herstellung, Verwendung oder Verkauf ohne den vorliegenden Vertrag einen oder mehrere nicht erloschene Ansprüche verletzen würde, die zu den mit den lizenzierten Patenten verbundenen Rechten gehören”.
Rz. 8
Genentech entrichtete die einmalige und die jährliche Gebühr, hat jedoch nie die laufende Gebühr an Hoechst, die Rechtsnachfolgerin von Behringwerke, gezahlt.
Rz....