Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Straßenverkehr. Sozialvorschriften -Abweichungen. Begriff ‚Umkreis von bis zu 100 [Kilometern (km)] vom Standort des Unternehmens’. Fahrzeuge, mit denen Beförderungen in diesem Umkreis und auch über diesen Umkreis hinaus durchgeführt werden
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 561/2006 Art. 13 Abs. 1 Buchst. b
Beteiligte
Inspectoratul de Stat pentru Controlul în Transportul Rutier (ISCTR) |
Tenor
1. Der Begriff „Umkreis von bis zu 100 [Kilometern (km)] vom Standort des Unternehmens” im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates in der durch die Verordnung (EU) 2020/1054 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2020 geänderten Fassung ist dahin zu verstehen, dass er eine auf der Landkarte vom Standort des Unternehmens aus eingezeichnete gerade Linie von höchstens 100 km erfasst, die diesen Standort mit jedem Punkt in einem kreisförmigen geografischen Gebiet um ihn herum verbindet.
2. Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 561/2006 in der durch die Verordnung 2020/1054 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass dann, wenn ein Mitgliedstaat auf der Grundlage dieser Bestimmung Abweichungen von den Art. 5 bis 9 dieser Verordnung für die Güterbeförderung mit den in dieser Bestimmung genannten Fahrzeugen zugelassen hat und diese Fahrzeuge diese Beförderungen nicht nur in einem Umkreis von bis zu 100 km vom Standort des betreffenden Unternehmens, sondern auch über diesen Umkreis hinaus durchführen, diese Abweichungen nur für Güterbeförderungen mit diesen Fahrzeugen gelten, die diesen Umkreis nicht überschreiten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Judecătoria Miercurea Ciuc (Amtsgericht Miercurea Ciuc, Rumänien) mit Entscheidung vom 10. November 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Januar 2021, in dem Verfahren
Pricoforest SRL
gegen
Inspectoratul de Stat pentru Controlul în Transportul Rutier (ISCTR)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Jääskinen sowie der Richter N. Piçarra (Berichterstatter) und M. Gavalec,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Nicolae und C. Vrignon als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. März 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (ABl. 2006, L 102, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2020/1054 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2020 (ABl. 2020, L 249, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 561/2006).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Pricoforest SRL, einem in der Forstwirtschaft tätigen Unternehmen mit Sitz in Rumänien, und dem Inspectoratul de Stat pentru Controlul în Transportul Rutier (ISCTR) (Staatliche Aufsichtsbehörde für die Kontrolle des Straßenverkehrs [ISCTR], Rumänien) über verwaltungsrechtliche Sanktionen, die gegen dieses Unternehmen wegen Verstößen gegen die Vorschriften über die Tageslenkzeit und die täglichen Ruhezeiten des Fahrers verhängt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im 17. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 561/2006 heißt es:
„Mit dieser Verordnung sollen die sozialen Bedingungen für die von ihr erfassten Arbeitnehmer sowie die allgemeine Straßenverkehrssicherheit verbessert werden. Dazu dienen insbesondere die Bestimmungen über die maximale Lenkzeit pro Tag, pro Woche und pro Zeitraum von zwei aufeinander folgenden Wochen, die Bestimmung über die Verpflichtung der Fahrer, mindestens einmal in jedem Zeitraum von zwei aufeinander folgenden Wochen eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit zu nehmen, und die Bestimmungen, wonach eine tägliche Ruhezeit unter keinen Umständen einen ununterbrochenen Zeitraum von neun Stunden unterschreiten sollte. …”
Rz. 4
Art. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Durch diese Verordnung werden Vorschriften zu den Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten für Kraftfahrer im Straßengüter- und -personenverkehr festgelegt, um die Bedingungen für den Wettbewerb zwischen Landverkehrsträgern, insbesondere im Straßenverkehrsgewerbe,...