Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Europäisches Mahnverfahren. Pflichten eines Gerichts, bei dem ein Verfahren zur Bestimmung eines Gerichts anhängig ist, das nach dem Einspruch des Antragsgegners gegen den Europäischen Zahlungsbefehl für die Entscheidung über das streitige Verfahren örtlich zuständig ist. Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats des Europäischen Zahlungsbefehls. Ausgleichsforderung wegen Flugverspätung
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 Art. 17; Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 Art. 20; Verordnung (EG) Nr. 44/2001; Verordnung (EG) Nr. 261/2004
Beteiligte
Tenor
Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass, wenn ein Gericht, bei dem ein Verfahren – wie das Ausgangsverfahren – zur Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats des Europäischen Zahlungsbefehls anhängig ist, unter diesen Umständen prüft, ob die Gerichte dieses Mitgliedstaats für die Entscheidung in dem streitigen Verfahren über die Forderung, die dem betreffenden Zahlungsbefehl zugrunde liegt, gegen den der Antragsgegner fristgerecht Einspruch eingelegt hat, international zuständig sind,
- sich diese verfahrensrechtlichen Fragen in Ermangelung von Hinweisen zu den Befugnissen und Pflichten des angerufenen Gerichts in der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens gemäß Art. 26 dieser Verordnung weiterhin nach den nationalen Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats richten;
- die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen verlangt, dass die Frage der internationalen Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats des Europäischen Zahlungsbefehls nach Verfahrensvorschriften entschieden wird, die es ermöglichen, die praktische Wirksamkeit dieser Verordnung und die Verteidigungsrechte zu gewährleisten, unabhängig davon, ob diese Frage von dem vorlegenden Gericht oder von einem Gericht entschieden wird, das das vorlegende Gericht als das Gericht bestimmt hat, das örtlich und sachlich zuständig ist, um über eine Forderung wie die im Ausgangsverfahren streitige in einem ordentlichen Zivilverfahren zu entscheiden;
- die Verordnung Nr. 44/2001 und die Verordnung Nr. 1896/2006 in dem Fall, dass ein Gericht wie das vorlegende eine Entscheidung über die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats des Europäischen Zahlungsbefehls trifft und eine solche Zuständigkeit im Hinblick auf die in der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Kriterien bejaht, das betreffende Gericht verpflichten, die nationalen Rechtsvorschriften so auszulegen, dass sie es ihm ermöglichen, ein für die Entscheidung in diesem Verfahren örtlich und sachlich zuständiges Gericht festzustellen oder zu bestimmen;
- ein Gericht wie das vorlegende in dem Fall, dass es im Ergebnis feststellt, dass eine solche internationale Zuständigkeit nicht gegeben ist, nicht gehalten ist, den betreffenden Zahlungsbefehl entsprechend Art. 20 der Verordnung Nr. 1896/2006 von Amts wegen zu überprüfen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 27. Februar 2014, am selben Tag beim Gerichtshof eingegangen, in dem Verfahren
Flight Refund Ltd
gegen
Deutsche Lufthansa AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), der Richterin C. Toader, des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Szima als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët, A. Sipos und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. Oktober 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Flight Refund Ltd (im Folgenden: Flight Refund), einer Gesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich, und der Deutsche Lufthansa AG (im Folgenden: Deutsche Lufthansa), einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, über einen Ausgleichsanspruch wegen Flugverspätung.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Das am 28. Mai 1999 in Mont...