Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freizügigkeit. Gleichbehandlung. Soziale Vergünstigungen. Finanzielle Studienbeihilfe. Gebietsfremde Studierende. Voraussetzung, die an die Dauer der Tätigkeit ihrer Eltern im Inland anknüpft. Mindestdauer von fünf Jahren. Referenzzeitraum von sieben Jahren. Berechnungsweise des Referenzzeitraums. Zeitpunkt der Beantragung der finanziellen Beihilfe. Mittelbare Diskriminierung. Rechtfertigung. Verhältnismäßigkeit
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 492/2011 Art. 7 Abs. 2
Beteiligte
Ministre de l'Enseignement supérieur et de la Recherche |
Tenor
Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, nach denen die Gewährung einer finanziellen Studienbeihilfe für gebietsfremde Studierende unter Ausschluss der Berücksichtigung jedes anderen Anknüpfungskriteriums davon abhängt, dass ein Elternteil des Studierenden innerhalb eines rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Beantragung dieser Beihilfe berechneten Referenzzeitraums von sieben Jahren mindestens fünf Jahre lang in diesem Mitgliedstaat als Arbeitnehmer oder als Selbständiger tätig war, da sie es nicht ermöglichen, in ausreichendem Maß zu beurteilen, ob eine hinreichende Verbundenheit mit dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats besteht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal administratif (Verwaltungsgericht, Luxemburg) mit Entscheidung vom 20. Juni 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juni 2018, in dem Verfahren
Nicolas Aubriet
gegen
Ministre de l'Enseignement supérieur et de la Recherche
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin C. Toader sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter), L. Bay Larsen und M. Safjan,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Aubriet, vertreten durch S. Jacquet, avocate,
- der luxemburgischen Regierung, vertreten durch D. Holderer als Bevollmächtigte im Beistand von P. Kinsch, avocat,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren und M. Wolff als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Van Hoof und D. Martin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV und von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Nicolas Aubriet (im Folgenden: Kläger) und dem Ministre de l'Enseignement supérieur et de la Recherche (Minister für Hochschulbildung und Forschung, Luxemburg) wegen der Weigerung der luxemburgischen Behörden, dem Kläger für das akademische Jahr 2014/2015 eine finanzielle Beihilfe für sein Studium in Straßburg (Frankreich) zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 sieht vor:
„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.
(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.
…”
Rz. 4
Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 hat den gleichen Wortlaut wie Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. 1968, L 257, S. 2) in der durch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35) geänderten Fassung.
Luxemburgisches Recht
Vor dem Jahr 2014 geltende Regelung
Rz. 5
Die staatliche finanzielle Studienbeihilfe, die in Luxemburg in Form von Stipendien und Darlehen gewährt wird und unabhängig davon beantragt werden kann, in welchem Staat der Antragsteller zu studieren beabsichtigt, war bis 2014 in der Loi du 22 juin 2000 concernant l'aide financière de l'État pour études supérieures (Gesetz vom 22. Juni 2000 über die staatliche finanzielle Studienbeihilfe) (Mémorial A 2000, S. 1106) geregelt, die mehrfach geändert wurde.
Rz. 6
Nach dem Gesetz vom 22...