Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsangleichung. Geltungsbereich. Labiles Blutprodukt. Nach einem industriellen Verfahren hergestelltes Plasma. Gleichzeitige oder ausschließliche Anwendung der Richtlinien. Möglichkeit eines Mitgliedstaats, für Plasma eine strengere Regelung vorzusehen als für Arzneimittel
Normenkette
Richtlinie 2001/83/EG; Richtlinie 2002/98/EG
Beteiligte
Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé (ANSM) |
Ministère des Affaires sociales et de la Santé |
Tenor
1. Die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung und die Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen und zur Änderung der Richtlinie 2001/83 sind dahin auszulegen, dass aus Vollblut gewonnenes, für Transfusionszwecke bestimmtes Plasma, bei dessen Herstellung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt, gemäß Art. 109 der Richtlinie 2001/83 hinsichtlich seiner Sammlung und Testung in den Geltungsbereich der Richtlinie 2002/98 und hinsichtlich seiner Verarbeitung, Lagerung und Verteilung in den Geltungsbereich der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung fällt, sofern es der Definition des Arzneimittels in Art. 1 Nr. 2 dieser Richtlinie entspricht.
2. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 ist im Licht von Art. 168 AEUV dahin auszulegen, dass er die Beibehaltung oder Einführung nationaler Bestimmungen, die Plasma, bei dessen Herstellung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt, einer strengeren als der für Arzneimittel geltenden Regelung unterwerfen, lediglich insoweit gestattet, als es um die Sammlung und Testung dieses Plasmas geht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Frankreich) mit Entscheidung vom 26. Oktober 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 13. November 2012, in dem Verfahren
Octapharma France SAS
gegen
Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé (ANSM),
Ministère des Affaires sociales et de la Santé
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet (Berichterstatter), C. G. Fernlund und E. Levits sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Octapharma France SAS, vertreten durch C. Smits, M. Anahory, F. Briard und F. Beauthier, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas und S. Menez als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch O. Beynet, P. Mihaylova und M. Šimerdová als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. November 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 168 AEUV, Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 34) geänderten Fassung und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen und zur Änderung der Richtlinie 2001/83 (ABl. 2003, L 33, S. 30).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Octapharma France SAS (im Folgenden: Octapharma) einerseits und der Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé (ANSM), früher Agence française de sécurité sanitaire des produits de santé (Afssaps) (im Folgenden: Agentur), und dem Ministère des Affaires sociales et de la Santé andererseits wegen der Entscheidung der Agentur vom 20. Oktober 2010 zur Festlegung der Liste und der Eigenschaften von labilen Blutprodukten (im Folgenden: Entscheidung vom 20. Oktober 2010), da mit dieser Entscheidung nach einem industriellen Verfahren hergestelltes Plasma wie namentlich gefrorenes, leukozytenreduziertes und im Solvent-Detergent-Verfahren virusinaktiviertes Frischplasma (im Folgenden: Plasma SD) in die genannte Liste aufgenommen wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 168 AEUV bestimmt:
„(1) Bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und -maßnahmen wird ein hohes Gesundheit...