Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Aussetzung des Ausgangsverfahrens durch ein nationales Gericht, das den Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV mit einem Vorabentscheidungsersuchen befasst. Möglichkeit einer teilweisen Aussetzung

 

Normenkette

Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Art. 23 Abs. 1; AEUV Art. 267

 

Beteiligte

BK und ZhP (Suspension partielle de la procédure au principal)

BK

ZhP

 

Tenor

Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er einem nationalen Gericht, das gemäß Art. 267 AEUV ein Vorabentscheidungsersuchen eingereicht hat, nicht verbietet, das Ausgangsverfahren nur insoweit auszusetzen, als dieses Aspekte betrifft, auf die sich die Beantwortung dieses Ersuchens durch den Gerichtshof auswirken kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-176/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 8. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Strafverfahren gegen

BK,

ZhP,

Beteiligte:

Spetsializirana prokuratura,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, des Präsidenten der Vierten Kammer C. Lycourgos (Berichterstatter) und der Richterin O. Spineanu-Matei,

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        der bulgarischen Regierung, vertreten durch T. Mitova und E. Petranova als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Erlbacher, E. Rousseva und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen BK und ZhP wegen des Tatbestands der Korruption.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 23 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bestimmt:

„In den Fällen nach Artikel 267 AEUV obliegt es dem Gericht des Mitgliedstaats, das ein Verfahren aussetzt und den Gerichtshof anruft, diese Entscheidung dem Gerichtshof zu übermitteln. Der Kanzler des Gerichtshofs stellt diese Entscheidung den beteiligten Parteien, den Mitgliedstaaten und der [Europäischen] Kommission zu und außerdem den Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der [Europäischen] Union, von denen die Handlung, deren Gültigkeit oder Auslegung streitig ist, ausgegangen ist.“

Bulgarisches Recht

Rz. 4

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass gemäß den auf das Ausgangsverfahren anzuwendenden Verfahrensvorschriften das Strafverfahren ausgesetzt wird, wenn das nationale Gericht dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegt.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Rz. 5

Am 26. Februar 2021 hat die Spetsializirana prokuratura (Spezialisierte Staatsanwaltschaft, Bulgarien) beim vorlegenden Gericht Anklage gegen BK und ZhP erhoben, denen vorgeworfen wird, sie hätten sich als polizeiliche Ermittlungsbeamte der Korruption schuldig gemacht.

Rz. 6

BK beanstandete die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene rechtliche Einordnung unter den Tatbestand der Korruption. Da das vorlegende Gericht wissen wollte, ob es zu einer Neubewertung der fraglichen Straftat befugt sei, ohne zuvor die beschuldigte Person darüber zu informieren, befasste es den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen betreffend die Auslegung von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (ABl. 2012, L 142, S. 1) und von Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Dieses Ersuchen ist Gegenstand der Rechtssache C-175/22.

Rz. 7

Zudem beanstandeten BK und ZhP die Art und Weise, in der sie festgenommen wurden, sowie die Entdeckung von markiertem Geld im Büro von ZhP. Die Festnahme von BK und ZhP erfolgte in deren Diensträumen, bei denen die Flure mit Videokameras ausgestattet waren, die einen Teil der Verhaftung sowie die Entdeckung des Geldes aufnahmen.

Rz. 8

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass bis zum Zeitpunkt der Vorlage des Vorabentscheidungsersuchens einige der an dieser Festnahme beteiligten Personen vernommen und ein Teil der Videoaufzeichnungen überprüft worden seien. Jedoch müssten noch mindestens drei weitere Personen vernommen und der Rest dieser Videoaufnahmen sowie die Aufzeichnungen einer versteckten Kamera und eines versteckten Mikrofons überprüft werden.

Rz. 9

Das vorlegende Gericht führt aus, in technischer Hinsicht sei es nicht daran gehindert, die Prüfung der bei ihm anhängigen Rechtssache und die Beweisaufnahme fortzusetzen, um herauszufinden, ob sich der geltend gemachte Sachverhalt tatsächlich so zugetragen hat wie behauptet...

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