Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersuchen um Vorabentscheidung: Saarländisches Oberlandesgericht. Deutschland. Gemeinschaftsrecht. Grundsätze. Gleichbehandlung. Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Verbot. Anwendungsbereich. Einbeziehung. Voraussetzung. Nationale Vorschrift, die ausländische Kläger verpflichtet, Sicherheit wegen der Prozeßkosten zu leisten. Anwendung im Rahmen einer Klage, die mit der Ausübung der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten zusammenhängt. Unzulässigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1 Eine nationale zivilprozessuale Vorschrift eines Mitgliedstaats, die die Staatsangehörigen und juristischen Personen aus einem anderen Mitgliedstaat zur Leistung einer Sicherheit wegen der Prozeßkosten verpflichtet, wenn sie gegen einen seiner Staatsangehörigen oder eine dort ansässige Gesellschaft gerichtlich vorgehen wollen, fällt in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 und unterliegt dem in diesem Artikel verankerten allgemeinen Diskriminierungsverbot, soweit sie eine – wenn auch nur mittelbare – Auswirkung auf den innergemeinschaftlichen Austausch von Gütern und Dienstleistungen hat, was namentlich der Fall sein kann, wenn sie bei Erhebung einer Klage auf Bezahlung von Warenlieferungen angewandt wird.

2 Artikel 6 Absatz 1 EG-Vertrag verbietet es einem Mitgliedstaat bei einer Klage, die mit der Ausübung der vom Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Grundfreiheiten zusammenhängt, von einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der bei einem Zivilgericht des ersten Mitgliedstaats eine Klage gegen einen Staatsangehörigen dieses Staates erhoben hat, die Leistung einer Sicherheit wegen der Prozeßkosten zu verlangen, wenn eine solche Sicherheitsleistung von einem Staatsangehörigen dieses Staates, der dort keinen Wohnsitz und kein Vermögen hat, nicht verlangt werden kann.

 

Normenkette

EGVtr Art. 6 Abs. 1

 

Beteiligte

David Charles Hayes

Jeannette Karen Hayes

Kronenberger GmbH

 

Tenor

Artikel 6 Absatz 1 EG-Vertrag verbietet es einem Mitgliedstaat bei einer Klage, die mit der Ausübung der vom Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Grundfreiheiten zusammenhängt, von einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der bei einem Zivilgericht des ersten Mitgliedstaats eine Klage gegen einen Staatsangehörigen dieses Staates erhoben hat, die Leistung einer Sicherheit wegen der Prozeßkosten zu verlangen, wenn eine solche Sicherheitsleistung von einem Staatsangehörigen dieses Staates, der dort keinen Wohnsitz und kein Vermögen hat, nicht verlangt werden kann.

 

Gründe

1 Das Saarländische Oberlandesgericht hat mit Beschluß vom 6. Oktober 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Oktober 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Vorabentscheidungsfrage zu Artikel 6 Absatz 1 EG-Vertrag vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich im Rahmen einer Klage der Eheleute Hayes, Gesellschafter einer Gesellschaft englischen bürgerlichen Rechts, gegen die Kronenberger GmbH in Liquidation (Beklagte), eine Gesellschaft deutschen Rechts, wegen der Bezahlung gelieferter Waren.

3 Die Beklagte verlangt als Berufungsbeklagte vor dem Saarländischen Oberlandesgericht von den Klägern, ihr gemäß § 110 Absatz 1 ZPO wegen der Prozeßkosten Sicherheit zu leisten.

4 Nach dieser Vorschrift haben Angehörige fremder Staaten, die vor deutschen Gerichten als Kläger auftreten, dem Beklagten auf sein Verlangen wegen der Prozeßkosten Sicherheit zu leisten. Nach § 110 Absatz 2 Nummer 1 ZPO tritt diese Verpflichtung jedoch nicht ein, wenn nach den Gesetzen des Staates, dem der Kläger angehört, ein Deutscher in gleichem Falle zur Sicherheitsleistung nicht verpflichtet ist.

5 Das Saarländische Oberlandesgericht führt dazu aus: Zwar gebe es in der gegenwärtigen Rechtspraxis in Großbritannien Tendenzen, von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union keine Prozeßkostensicherheit mehr zu verlangen, es könne jedoch nicht von einer ständigen Rechtspraxis ausgegangen werden, die die von § 110 Absatz 2 Nummer 1 ZPO geforderte Gegenseitigkeit verbürge.

6 Ausserdem befreie Artikel 14 des deutsch-britischen Abkommens über den Rechtsverkehr vom 20. März 1928, das mit Wirkung vom 1. Januar 1953 wieder in Kraft gesetzt sei (BGBl. 1953 II S. 116), die Angehörigen eines Vertragsstaats nur dann von der Erbringung der Prozeßkostensicherheit, wenn sie im Land der Klageerhebung wohnten.

7 Schließlich befreie das Europäische Niederlassungsabkommen vom 13. Dezember 1955 (BGBl. 1959 II S. 997) alle Angehörigen der Vertragsstaaten von diesem Erfordernis allein unter der Bedingung, daß sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten hätten. Dies gelte jedoch nicht für die Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs, das gemäß Artikel 27 dieses Abkommens einen Vorbehalt erklärt habe.

8 Die in diesen Abkommen vorgesehenen Ausnahmen gälten nicht für die Kläger, die Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs seien und in Deutschland weder Wohnsitz noch Vermögen hätten.

9 Das Saarländische Oberlandesgericht ha...

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