Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Befreiung von der Ausgleichspflicht. Begriff ‚außergewöhnliche Umstände’. Unter Beachtung der gesetzlichen Anforderungen organisierter Pilotenstreik. ‚Interne’ und ‚externe’ Umstände im Hinblick auf die Tätigkeit des ausführenden Luftfahrtunternehmens. Kein Eingriff in die unternehmerische Freiheit, das Recht auf Eigentum und das Recht des Luftfahrtunternehmens auf Kollektivverhandlungen
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 3; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 16-17, 28
Beteiligte
Scandinavian Airlines System Denmark – Norway – Sweden |
Tenor
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleitete Streikmaßnahmen, bei denen die Anforderungen des nationalen Rechts – insbesondere die darin für die Vorankündigung vorgesehene Frist – beachtet werden, mit denen die Forderungen der Beschäftigten dieses Unternehmens durchgesetzt werden sollen und denen sich eine oder mehrere der für die Durchführung eines Fluges erforderlichen Beschäftigtengruppen anschließen, nicht unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand” im Sinne dieser Vorschrift fallen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Attunda tingsrätt (Bezirksgericht Attunda, Schweden) mit Entscheidung vom 16. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Januar 2020, in dem Verfahren
Airhelp Ltd
gegen
Scandinavian Airlines System Denmark – Norway – Sweden,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, A. Kumin und N. Wahl, des Richters T. von Danwitz, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan, D. Šváby (Berichterstatter), I. Jarukaitis, N. Jääskinen und J. Passer,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Dezember 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Airhelp Ltd, vertreten durch M. Bexelius, E. Arbrandt und S. Nilsson, advokater,
- der Scandinavian Airlines System Denmark – Norway – Sweden, vertreten durch F. Sjövall und J. Fermbäck, advokater,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren, M. Jespersen und M. S. Wolff als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch U. Kühne, M. Hellmann und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier und A. Ferrand als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Simonsson, N. Yerrell und E. Ljung Rasmussen als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. März 2021,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Airhelp Ltd und der Scandinavian Airlines System Denmark – Norway – Sweden (im Folgenden: SAS) wegen deren Weigerung, an S., der seine Rechte an Airhelp abgetreten hat, wegen der Annullierung seines Fluges Ausgleichszahlungen zu leisten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 1, 14 und 15 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:
„(1) Die Maßnahmen der [Union] im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.
…
(14) Wie nach dem Übereinkommen [zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, geschlossen am 28. Mai 1999 in Montreal und genehmigt im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 38)] sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ...