Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen. Recht auf Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag. Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen. Unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände. Covid-19-Pandemie. Insolvenz des Reiseveranstalters. Sicherheit für die Erstattung aller geleisteten Zahlungen. Hohes Verbraucherschutzniveau. Grundsatz der Gleichbehandlung
Normenkette
RL 2302/2015/EU; RL 2302/2015/EU Art. 12, 17
Beteiligte
Tenor
Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates
ist dahin auszulegen, dass
die den Reisenden gewährte Absicherung gegen die Insolvenz des Pauschalreiseveranstalters anwendbar ist, wenn ein Reisender aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände gemäß Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie von seinem Pauschalreisevertrag zurücktritt, der Reiseveranstalter nach diesem Rücktritt insolvent wird und dem Reisenden vor dem Eintritt der Insolvenz die getätigten Zahlungen nicht voll erstattet wurden, worauf er nach der letztgenannten Bestimmung Anspruch hat.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen C-771/22 und C-45/23
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bezirksgericht für Handelssachen Wien (Österreich) (C-771/22) und von der Nederlandstalige Ondernemingsrechtbank Brussel (niederländischsprachiges Unternehmensgericht von Brüssel, Belgien) (C-45/23) mit Entscheidungen vom 17. Oktober 2022 und vom 19. Januar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Dezember 2022 bzw. am 31. Januar 2023, in den Verfahren
Bundesarbeitskammer
gegen
HDI Global SE(C-771/22)
und
A,
B,
C,
D
gegen
MS Amlin Insurance SE(C-45/23)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer, der Richter F. Biltgen und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Lamote, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Bundesarbeitskammer, vertreten durch Rechtsanwalt S. Schumacher,
- – der HDI Global SE, vertreten durch Rechtsanwälte M. A. Gütlbauer, M. Pichlmair und S. Sighartsleitner,
- – von A, B, C und D, vertreten durch E. Loubris und J. Vanermen, Advocaten,
- – der MS Amlin Insurance SE, vertreten durch J. Van Bellinghen, Advocaat,
- – der belgischen Regierung, vertreten durch S. Baeyens, P. Cottin und C. Pochet als Bevollmächtigte,
- – der dänischen Regierung, vertreten durch J. F. Kronborg und C. Maertens als Bevollmächtigte,
- – der griechischen Regierung, vertreten durch Z. Chatzipavlou, K. Georgiadis, C. Kokkosi, K. Konsta und A. Magrippi als Bevollmächtigte,
- – des Europäischen Parlaments, vertreten durch M. Menegatti und I. Terwinghe als Bevollmächtigte,
- – des Rates der Europäischen Union, vertreten durch N. Brzezinski und S. Emmerechts als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann, I. Rubene und F. van Schaik als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. März 2024
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 17 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (ABl. 2015, L 326, S. 1).
Rz. 2
Sie ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Bundesarbeitskammer (Österreich) als Rechtsnachfolgerin eines Reisenden und der HDI Global SE, dem Versicherungsunternehmen des Reiseveranstalters dieses Reisenden (C-771/22), bzw. zwischen A, B, C, und D, vier Reisenden, und der MS Amlin Insurance SE, dem Versicherungsunternehmen des Reiseveranstalters dieser vier Reisenden (C-45/23), über die Weigerung dieser Versicherungsunternehmen, den Reisenden infolge der Insolvenz dieser Reiseveranstalter die von ihnen gezahlten Beträge zu erstatten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 90/314/EWG
Rz. 3
Art. 4 Abs. 6 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. 1990, L 158, S. 59) sah vor:
„Wenn der Verbraucher gemäß Absatz 5 vom Vertrag zurücktritt oder wenn der Veranstalter – gleich aus welchem Grund, ausgenommen Verschulden des Ve...