Seit Aufnahme seiner rechtsprechenden Tätigkeit im Jahr 1951 hat das BVerfG in mehr als 230.000 Fällen Verfassungsbeschwerden verbeschieden und sich in knapp 4000 Fällen im Rahmen von abstrakten und konkreten Normenkontrollverfahren als Hüter der Verfassung positioniert. Welchen Anteil hierbei die Rechtsprechung zum Familienrecht, genauer gesagt: zu Art. 6 GG, hatte, ist zwar statistisch nicht erfasst. Soviel steht aber, gewissermaßen unbesehen, fest: Das BVerfG hat zur Entwicklung des Rechts von Ehe und Familie, eingeschlossen insbesondere das Kindschaftsrecht, mit einer Vielzahl grundlegender Entscheidungen entscheidend beigetragen und insbesondere auch zu wiederholten Malen gesetzgeberische Korrekturen veranlasst.
Der Normtext des Art. 6 Abs. 1 GG ist seit Inkrafttreten des Grundgesetzes unverändert geblieben. Die 70. Wiederkehr des Inkrafttretens des Grundgesetzes im Mai vergangenen Jahres bot und bietet deshalb eine gute Gelegenheit, aus der nahezu unübersehbaren Fülle der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 6 GG zumindest die einschlägigen Leitentscheidungen des BVerfG in Erinnerung zu rufen und Revue passieren zu lassen. Sie belegen eine Fortentwicklung der (verfassungs-) rechtlichen Anschauungen von Ehe und Familie auf der Grundlage einer hierfür offensichtlich geeigneten, hinreichend elastischen Norm, wie sich das die Mütter und Väter des Grundgesetzes möglicherweise nicht hätten träumen lassen.
Die Matadorinnen und Matadore dieser Entwicklung waren jedenfalls, seitdem es eine exklusive Zuständigkeit für Art. 6 GG beim Ersten Senat des BVerfG gibt, und damit seit mehr als 40 Jahren, so gut wie ausschließlich Frauen, und zwar Dr. Gisela Niemeyer (1977 – 1989), Helga Seibert LL.M. (1989 – 1999), Dr. Christine Hohmann-Dennhardt (1999 – 2011) und anschließend bis heute Prof. Dr. Gabriele Britz, deren Zuständigkeit sich seit 2018 allerdings auf den Bereich des Unterhalts-, Güter- und Versorgungausgleichsrecht beschränkt; im Übrigen ist mit dem Beginn seiner Amtszeit (2018) Prof. Dr. Henning Radtke für das Familienrecht zuständig geworden. Es gab wohl bereits vor 1977, spätestens seit 1975, ein entsprechendes Dezernat bzw. einen dahingehenden Geschäftsverteilungsplan beim Ersten Senat, während zuvor die Berichterstatter*innen für die eingehenden Sachen, insbesondere aus dem Bereich des Familienrechts, vom jeweiligen Vorsitzenden vermutlich ad hoc bestimmt wurden; der entsprechende Geschäftsverteilungsplan ist jedoch beim BVerfG nicht archiviert worden bzw. ließ sich nicht mehr ausfindig machen.
Die nachfolgende Übersicht über die einschlägigen Leitentscheidungen des BVerfG ist thematisch und zugleich zeitlich geordnet, will Schlaglichter auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 6 GG werfen, muss aber zugleich Schwerpunkte setzen und beansprucht deshalb insbesondere keine Vollständigkeit. Das gilt erst recht für das kommentierende rechtswissenschaftliche Schrifttum; unmittelbar einschlägige, monographische Entscheidungsbesprechungen werden, ebenfalls ohne Anspruch auf Vollständigkeit, in den Fußnoten angegeben.