Jochem Schausten
Kennen Sie diese Situation? In der Eingangspost findet sich das Sachverständigengutachten in einer Sorgerechtssache. Nach dem Erstgespräch mit dem Mandanten, das schon anderthalb Stunden dauert, diktieren Sie einen mehrseitigen Schriftsatz, auf den die Gegenseite genauso umfangreich antwortet. Ihre Replik fällt auch sehr umfangreich aus; nicht zuletzt deswegen, weil der Mandant alle vermeintlichen Unwahrheiten widerlegt haben will – da hilft es auch nichts, dass diese nach Ihrer Einschätzung für den Ausgang des Verfahrens völlig belanglos wären. Das Gericht bestellt dem Kind einen Verfahrensbeistand, der eine mehrseitige Stellungnahme fertigt. In der mündlichen Anhörung der Beteiligten geht es drüber und drunter, sie dauert knapp zwei Stunden – mit dem Ergebnis, dass ein Sachverständigengutachten eingeholt wird, welche Regelung dem Kindeswohl wohl am besten entspricht.
Mit anderen Worten: Bisher haben Sie in die Bearbeitung dieser Angelegenheit etwa sechs bis acht Stunden Arbeitszeit investiert. Und nun will das Gutachten gelesen und dem Mandanten erläutert werden. Und dann? Will der Mandant sicher, dass Sie zu dem Gutachten noch eine Stellungnahme fertigen – dafür würde er gerne nochmal mit Ihnen einen Besprechungstermin vereinbaren. Dies wird dazu führen, dass Sie noch mindestens zwei bis vier weitere Stunden Arbeitszeit in diese Angelegenheit investieren.
Sie überlegen, wie viel Umsatz Sie mit dieser Akte wohl generieren werden. Sollten Sie – wie der Großteil der Kollegen – keine Honorarvereinbarung abgeschlossen haben, wird es sich bei einem voraussichtlichen Gegenstandswert von 3.000 EUR nach dem RVG um einen Betrag von 492,50 EUR netto handeln.
Es lässt sich ausrechnen, wie lange Sie sich mit dieser Angelegenheit beschäftigen können, ohne dass Sie selbst Geld mitbringen müssen. Unterstellt man beispielsweise einen Stundensatz von 150 EUR netto – auch wenn ich diesen grundsätzlich als zu niedrig ansehen würde – wären das etwas mehr als drei Stunden Arbeitszeit, die Sie in diesen Fall investieren dürften. Mit anderen Worten: Sie arbeiten aller Voraussicht nach mindestens fünf bis sieben Stunden, ohne etwas zu verdienen!
Es gibt mehrere Alternativen, um dem zu begegnen: Die erste – aber wohl auch die schlechteste – wäre, dieses Ergebnis einfach hinzunehmen. Die zweite wäre, eine Honorarvereinbarung abzuschließen, die Ihnen ein angemessenes Honorar sichert. Dabei ist es nach meiner Erfahrung Geschmackssache, ob man eine Zeithonorarvereinbarung trifft, ein Pauschalhonorar oder eine Abrechnung nach einem festgelegten Gegenstandswert vereinbart. Sollte der Mandant nicht bereit sein, eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen, kämen wir zur dritten Alternative: Lehnen Sie das Mandat ab!
Weil es aus unternehmerischer Sicht keinen Sinn macht, ein solches Mandat anzunehmen. Wenn Sie das Mandat mit der erforderlichen Sorgfalt und dem erforderlichen Zeitaufwand bearbeiten wollten, verlieren Sie kostbare Zeit, die Sie zur Bearbeitung lukrativer Mandate benötigen. Bringen Sie aufgrund des mageren Ertrags diese Sorgfalt bzw. Zeit n0icht auf, werden am Ende nicht nur Sie, sondern auch Ihr Mandant unzufrieden sein. Bei ihm wird berechtigterweise das Gefühl zurückbleiben, dass er nicht vernünftig bedient wurde und seine Sache nicht wichtig genug war. So läuft die Bearbeitung auch werbetechnisch ins Leere, da mit Weiterempfehlungen dieses Mandanten wohl nicht mehr gerechnet werden kann.
Sie haben Bedenken, dass Ihre Mandanten sich ein höheres anwaltliches Honorar nicht leisten können? Mag sein, aber haben Sie es denn schon wirklich versucht? Meiner Erfahrung nach sind Mandanten regelmäßig bereit, eine qualifizierte anwaltliche Dienstleistung auch entsprechend zu vergüten. Also: Reden Sie über Geld – und seien Sie konsequent!
Jochem Schausten, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Krefeld