Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufteilung der Einkommensteuerschuld in Insolvenzforderung, Masseforderung und insolvenzfreie Forderung. kein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland für Versorgungsbezüge aus der Notarkasse eines nunmehr in Italien ansässigen vormaligen deutschen Notars
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach Insolvenzeröffnung begründete Steueransprüche, die als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO zu qualifizieren sind, sind gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festzusetzen. Alle sonstigen Ansprüche sind insolvenzfrei. Die einheitliche Einkommensteuerschuld ist ggf. in eine Insolvenzforderung, eine Masseforderung und eine insolvenzfreie Forderung aufzuteilen. Über die Zuordnung zu den unterschiedlichen Forderungskategorien ist im Einkommensteuerfestsetzungsverfahren zu entscheiden. Eines gesonderten Aufteilungsbescheides bedarf es nicht.
2. Es besteht kein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland für Versorgungsbezüge aus der Notarkasse eines nunmehr in Italien ansässigen vormaligen deutschen Notars.
Normenkette
DBA ITA Art. 14 Abs. 1, Art. 19, 22; EStG § 49 Abs. 1 Nr. 7, § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa; InsO § 55 Abs. 1, § 80 Abs. 1
Tenor
1. Die Einkommensteuerbescheide für 2015 und 2016 jeweils vom 06. November 2018 mit Anlage (Aufteilung der Einkommensteuer) vom 24. Oktober 2018 – insolvenzfreies Vermögen –, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. April 2019, werden dahingehend geändert, dass die sonstigen Einkünfte aus Renten nicht mehr der Einkommensteuer unterworfen werden und die Einkommensteuer auf das insolvenzfreie Vermögen auf 0 EUR festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Strittig ist, ob die am 6. November 2018 erlassenen Einkommensteuerbescheide für 2015 und 2016 dem Kläger wirksam bekannt gegeben wurden. Ferner ist streitig, ob der Kläger zu Recht für die Einkommensteuer auf Versorgungsbezüge aus der Notarkasse als Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen in Anspruch genommen worden ist.
Der im Jahr 1938 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und wohnt seit dem Jahr 2002 in der italienischen Republik (Italien). Er war bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand Notar in Bayern. Seit dem 1. Juni 2001 bezieht er Versorgungsbezüge von der bayerischen Notarkasse mit Sitz in München (Notarkasse), einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Am 18. Mai 2001 wurde über das Vermögen des Klägers unter dem Aktenzeichen X beim Amtsgericht M das Insolvenzverfahren eröffnet und Herr Rechtsanwalt Dr. A zum Insolvenzverwalter bestellt.
Weder der Kläger noch der Insolvenzverwalter gaben für die Streitjahre Einkommensteuererklärungen ab. Der Beklagte (das Finanzamt) schätzte deshalb die Besteuerungsgrundlagen. Auf der Grundlage der von der Notarkasse elektronisch übermittelten Daten berücksichtigte das Finanzamt für das Streitjahr 2015 einen Versorgungsbetrag von 67.275,90 EUR einschließlich eines Anpassungsbetrages von 11.459,10 EUR und für das Streitjahr 2016 einen Versorgungsbetrag von 68.802,90 EUR einschließlich eines Anpassungsbetrages von 12.986,10 EUR. Es legte dabei einen Besteuerungsanteil von 50 v.H. zugrunde. Daneben berücksichtigte das Finanzamt im Streitjahr 2015 die mitgeteilten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung entsprechend einer gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen in Höhe von 3.492 EUR. In beiden Streitjahren schätzte das Finanzamt weitere Vermietungseinkünfte aus bebauten Grundstücken in Höhe von 200 EUR (2015) bzw. 250 EUR (2016) hinzu.
Auf dieser Grundlage setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für die Streitjahre fest und sandte die Ausfertigungen der Steuerbescheide jeweils dem Kläger sowie dem Insolvenzverwalter zu. Eine Ausfertigung war an den Kläger für ihn als Inhaltsadressaten für das insolvenzfreie Vermögen und die andere Ausfertigung war an den Insolvenzverwalter für den Kläger für Massekosten adressiert. Zudem teilte das Finanzamt die festgesetzten Einkommensteuern auf. Soweit sich die Aufteilung auf die Versorgungsbezüge bezog, sah das Finanzamt diese als Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen des Klägers an. Der Kläger und der Insolvenzverwalter erhielten für beide Streitjahre je einen Einkommensteuerbescheid mit Anlage einer Aufteilung der Einkommensteuer vom 24. Oktober 2018. Infolgedessen verlangte das Finanzamt vom Kläger Einkommensteuern für das Streitjahr 2015 in Höhe von 11.643,21 EUR sowie für das Streitjahr 2016 in Höhe von 12.396,03 EUR.
Gegen die Bescheide legte der Kläger mit Schreiben vom 20. November 2018 Einsprüche ein. Diese wurden mit Einspruchsentscheidung vom 10. April 2019 al...