Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsstättenbegriff nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG Bedeutung des durch die Reform des steuerlichen Reisekostenrechts zum 1. Januar 2014 eingeführten Begriffs der "ersten Tätigkeitsstätte" in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1, Abs. 4 EStG für die Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG.
Leitsatz (amtlich)
Der Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1, Abs. 4 EStG bewirkt keine sachliche Änderung für die Bestimmung des Begriffs der "Betriebsstätte" im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG (gegen BMF-Schreiben vom 23.12.2014, BStBl I 2015, 26).
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, 5 S. 1 Nrn. 5-6, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, Abs. 4, 4a, § 18 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der seit dem … geschiedene Kläger erzielte in den Streitjahren 2016 bis 2018 Einkünfte aus selbständiger Arbeit durch die Erbringung von Beratungsleistungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie. Den Gewinn ermittelte er als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 3 EStG). Im gesamten Streitzeitraum war der Kläger in K wohnhaft. Ab dem 29.03.2016 mietete er zudem in H eine möblierte Wohnung an.
Im Zeitraum vom 30.08.2019 bis zum 05.09.2019 führte das Finanzamt X eine Außenprüfung für die Streitjahre durch. Nach Feststellungen der Prüferin war der Kläger im Prüfungszeitraum einzig für die Firma T AG (nachfolgend: T) in H an deren Sitz als Berater tätig. Dort übte er seine Tätigkeit an vier Tagen pro Woche aus. Ausweislich des zwischen dem Kläger und der A GmbH (nachfolgend: A) am ... 2016 geschlossenen projektbezogenen Interim Manager und Berater-Vertrages betreffend den Einsatz im Projekt "Infrastruktur Basis" begann seine Tätigkeit bei dem Kunden/ Klienten der A (T) am 14.03.2016 und endete am 30.06.2016. In Ziff. 1.6 des Vertrages heißt es, dass A und T sowie deren Mitarbeiter kein Weisungs- oder Direktionsrecht gegenüber dem Berater - weder fachlich noch disziplinarisch - ausüben. Lt. Ziff. 2.3 ist der Berater in der Einteilung der Arbeitszeit und der Art der Durchführung des Vertrages im Rahmen des Vertrages frei. Ziff. 2.7 des Vertrages vom … 2016 lautet wie folgt: "Soweit dies zur Erfüllung des Projektauftrags zwingend erforderlich ist, kann der Berater auch in den Geschäftsräumen des Kunden tätig werden". Durch in der Folgezeit im Voraus getroffene Verlängerungsvereinbarungen wurde das Vertragsverhältnis im Streitjahr 2016 jeweils um zwei weitere Monate verlängert. Im Streitjahr 2017 wurden zwei weitere Verlängerungsvereinbarungen für vier bzw. acht Monate getroffen. Im Streitjahr 2018 wurde das Vertragsverhältnis mit Vereinbarung vom ... 2017 für die Dauer eines Jahres bis zum 31.12.2018 verlängert. Alle weiteren Regelungen und Vereinbarungen des Vertrages vom … 2016 und der nachfolgenden Verlängerungen blieben unverändert.
Die Prüferin vertrat die Auffassung, dass die vom Kläger geltend gemachten Mehraufwendungen für Verpflegung und Familienheimfahrten zu kürzen seien. Mehraufwendungen für Verpflegung im Streitjahr 2016 könnten wegen der Begründung einer doppelten Haushaltsführung in H nur für die ersten drei Monate (März - Mai) gewährt werden. Mehraufwendungen für Aufenthalte außerhalb von K und H erkannte die Prüferin weiterhin an. Aufwendungen für die Wege vom Ort der ersten Tätigkeitsstätte zum Ort des eigenen Hausstandes und zurück (Familienheimfahrten) könnten jeweils nur für eine Familienheimfahrt wöchentlich abgezogen werden. Zur Abgeltung der Aufwendungen für eine Familienheimfahrt sei eine Entfernungspauschale von 0,30 € für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen dem Ort des eigenen Hausstandes und dem Ort der ersten Tätigkeitsstätte anzusetzen. Anzusetzen sei die kürzeste Verbindung (308 km). Damit seien die Aufwendungen wie folgt steuerlich zu berücksichtigen:
Mehraufwendungen für Verpflegung |
Zeitraum |
Aufwand lt. Reisekostenabrechnung |
anzuerkennen |
BA-Minderung |
Summe 2016 |
2.676,00 |
456,00 |
2.220,00 |
Summe 2017 |
3.771,00 |
505,00 |
3.266,00 |
Summe 2018 |
3.796,00 |
621,00 |
3.175,00 |
Familienheimfahrten |
2016 |
Bisher angesetzte BA |
10.233,60 € (39 x 2 x 320km x 0,41€) |
Anzuerkennen |
3.418,80 € (37 x 308km x 0,30 €) |
Differenz brutto |
6.814,80 € |
2017 |
Bisher angesetzte BA |
22.016,00 € (43 x 2 x 320km x 0,80 €) |
Anzuerkennen |
3.418,80 € (43 x 308km x 0,30 €) |
Differenz brutto |
18.597,20 € |
2018 |
Bisher angesetzte BA |
12.646,40 € (38 x 2 x 320km x 0,52 €) |
Anzuerkennen |
3.511,20 € (38 x 308km x 0,30 €) |
Differenz brutto |
9.135,20 € |
Den Feststellungen der Prüferin folgend erließ das Finanzamt X am 18.11.2019 (2017, 2018) bzw. 16.12.2019 (2016) geänderte Einkommensteuerbescheide.
Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Einsprüche trug der Kläger im Wesentlichen vor, der BFH habe mit Urteil vom 09.07.2009 (VI R 21/08) entschieden, dass die betriebliche Einrichtung eines Kunden keine regelmäßige Arbeitsstätte darstelle, und zwar auch nicht, wenn ein Arbeitnehmer bei einem Kunden längerfristig eingesetzt sei. Seine Tätigkeit sei vorübergehend gew...