I. Das Problem
Abfindung des gekündigten Mitarbeiters
Ein ganz alltägliches Problem: Der Gläubiger betreibt die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner aus einem Vollstreckungsbescheid. Infolgedessen wurde eine Lohnpfändung ausgebracht. Der Schuldner schied dann aber im Sommer des Jahres aus dem Unternehmen aus. Im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses erstritt sich der Schuldner eine Abfindung, die im Herbst des letzten Jahres vom Arbeitgeber an ihn ausgezahlt wurde.
Der Arbeitgeber wurde darauf hingewiesen, dass die Abfindung aufgrund der Lohnpfändung dem Gläubiger zustehe. Trotzdem hat er sie in voller Höhe an den Schuldner ausgezahlt und sich auf den Standpunkt gestellt, im Herbst sei der Schuldner ja nicht mehr "Mitarbeiter" gewesen; daher gelte die Pfändung nicht mehr. Muss das als Ergebnis akzeptiert werden?
II. Die Lösung
Gesetzliche oder vertragliche Abfindungen
Abfindungen sind im Arbeitsleben ein adäquates Instrument, um zu einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu kommen und eine Kündigungsschutzklage zu vermeiden. Auch bei streitigen Auseinandersetzungen um eine Kündigung ist die Abfindung häufig das Mittel der Wahl, wenn eine Weiterbeschäftigung ernsthaft nicht mehr in Betracht kommt. In Betracht kommt eine Abfindung aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Vereinbarung. Gesetzliche Regelungen findet sich etwa
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in §§ 9, 10 KschG – in Abhängigkeit vom Lebensalter und der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses werden bis zu 12, 15 oder 18 Monatsgehälter als Abfindung vorgesehen, |
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in §§ 112, 113 BetrVG, |
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in § 21 BeamtVG oder |
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in §§ 9, 48 des Wehrsoldgesetzes (WSG). |
Daneben kommen natürlich auch vertragliche Abfindungsregelungen zum Tragen.
Hinweis
In der Praxis ist häufig die Regelung anzutreffen, dass pro Beschäftigungsjahr ein halbes Nettomonatsgehalt als Abfindung gezahlt wird. Im Rahmen von Sozialplänen sind jedoch auch weit höhere Abfindungsbeträge zu erlangen. Häufig werden dabei nur Gruppen von Arbeitnehmern nach einer Mehrzahl von Komponenten gebildet, die dann jeweils eine einheitliche, zum Teil erhebliche Abfindung erhalten. Das gilt gerade beim Arbeitsplatzabbau großer Unternehmen.
Abfindungen als (gepfändetes) Arbeitseinkommen?
Gepfändet hat der Gläubiger nach §§ 829, 835 ZPO das Arbeitseinkommen. Entscheidend ist also nicht, ob der Mitarbeiter im Zeitpunkt der Auszahlung noch Arbeitnehmer ist, sondern ob es sich um Arbeitseinkommen handelt. Der Auszahlungszeitpunkt ist also für die Wirksamkeit der Pfändung unerheblich. Wieso kommt der Arbeitgeber aber auf die Idee, dass die Abfindung anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht von der Pfändung erfasst ist? Der Grund dürfte darin liegen, dass in § 850 ZPO die Abfindungen nicht ausdrücklich als Arbeitseinkommen benannt werden. Dort werden nur Abfindungen wegen Wettbewerbsbeschränkungen erfasst.
Im Wortlaut: § 850 ZPO
(1) …
(2) Arbeitseinkommen im Sinne dieser Vorschrift sind die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten, Arbeits- und Dienstlöhne, Ruhegelder und ähnliche nach dem einstweiligen oder dauernden Ausscheiden aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis gewährte fortlaufende Einkünfte, ferner Hinterbliebenenbezüge sowie sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen.
(3) Arbeitseinkommen sind auch folgende Bezüge, soweit sie in Geld zahlbar sind:
a) Bezüge, die ein Arbeitnehmer zum Ausgleich für Wettbewerbsbeschränkungen für die Zeit nach Beendigung seines Dienstverhältnisses beanspruchen kann;
b) Renten, die aufgrund von Versicherungsverträgen gewährt werden, wenn diese Verträge zur Versorgung des Versicherungsnehmers oder seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen eingegangen sind.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung sagt ja
Trotzdem werden nach der herrschenden Meinung Abfindungen von der Pfändung des Arbeitseinkommens erfasst (BGH FoVo 2010, 191; BAG NJW 2015, 107; Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 850 Rn 12; Smid, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 850 Rn 21; Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 850 Rn 5 und § 850i Rn 6).
Tipp
Dass die Abfindung nach § 850 Abs. 4 ZPO mitgepfändet wird, kann aber ausdrücklich klargestellt werden. Das vermeidet Unklarheiten und Streitfragen in der Kommunikation mit dem Drittschuldner.
Pfändungsschutz nach § 850i ZPO
Ist also die Abfindung als Arbeitseinkommen zu qualifizieren, fragt sich, in welchem Umfang auf diese zugegriffen werden kann. Die Abfindung stellt kein regelmäßig wiederkehrendes Arbeitseinkommen dar, weshalb Pfändungsschutz nicht nach § 850c ZPO gewährt wird. Einschlägig ist vielmehr § 850i ZPO.
Hinweis
Das Besondere daran ist, dass nunmehr der Schuldner tätig werden muss, um Pfändungsschutz zu erlangen. Er muss einen gesonderten Antrag an das Vollstreckungsgericht auf Freigabe der gesamten oder eines Teils der Abfindung stellen.
Werden nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste oder sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind, gepf...