Leitsatz
Die Vorschrift des § 87 Abs. 2 FamFG ist analog auch auf gerichtlich protokollierte Vergleiche anzuwenden. Die Vergleiche sind deshalb als Voraussetzung der Zwangsvollstreckung zwingend zuzustellen.
OLG Hamm, Beschl. v. 9.1.2024 – II-4 WF 156/23
1 Der Fall
Vergleich, Genehmigung und Vollstreckungsandrohung
Die Beteiligten schlossen in einem Gewaltschutzverfahren vor dem AG Siegen einen unbefristeten Vergleich dahingehend, dass wechselseitige Kontaktaufnahmen über sämtliche Medien zu unterbleiben hatten und ein Mindestabstand von 50 Metern zueinander einzuhalten war. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung verkündete das AG nach Vergleichsschluss noch den Beschluss, dass die Vereinbarung familiengerichtlich genehmigt werde, und drohte für jeden Verstoß gegen die Vereinbarung die Verhängung eines Ordnungsgeldes von bis zu 25.000 EUR an. Eine Zustellung von Protokoll und Beschluss fehlt.
Ordnungsgeld wegen telefonischer Kontaktaufnahme
Das AG hat auf Antrag der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin nachfolgend wegen Verstoßes gegen den Vergleich ein Ordnungsgeld in Höhe von 500 EUR verhängt. Die Antragstellerin habe durch wiederholte Anrufe bei der Antragsgegnerin schon nach eigenem Bekunden gegen die Vereinbarung verstoßen. Ihre Behauptung, ihrerseits von der Antragsgegnerin angerufen worden zu sein, habe die Beweisaufnahme nicht bestätigen können. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde, da die Kontaktaufnahme wechselseitig erfolgt sei und die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nicht gegeben seien. Die Antragsgegnerin meint, es handele sich bei dem Vergleich um einen Vollstreckungstitel gem. § 86 FamFG, der keiner Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung bedürfe. Auch seien materiell die Voraussetzungen für die Vollstreckung gegeben, da die Antragstellerin die Telefonate selbst eingeräumt habe. Das AG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, sodass das OLG hierüber entscheiden musste.
2 II. Die Entscheidung
OLG sieht Mangel bei den Vollstreckungsvoraussetzungen
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden gem. §§ 567 ff. ZPO analog (vgl. Sternal/Giers, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 87 Rn 15). In der Sache ist sie auch begründet. Dabei kann es dahinstehen, ob materiellrechtlich die Voraussetzungen für den Erlass eines Ordnungsgeldbeschlusses vorgelegen haben. Denn jedenfalls fehlt es an den formalen Voraussetzungen für die Vornahme einer Zwangsvollstreckung.
Vollstreckung des Vergleichs grundsätzlich mit Ordnungsmitteln
Die Antragsgegnerin betreibt hier die Vollstreckung aus einem in dem Gewaltschutzverfahren geschlossenen Vergleich (§ 86 Abs. 1 Nr. 3 FamFG, § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Gem. § 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG i.V.m. den §§ 890, 891 ZPO kann der Berechtigte zur Durchsetzung einer im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens eingegangenen Verpflichtung die Festsetzung von Ordnungsmitteln beantragen. Dafür bedurfte der Gewaltschutzvergleich vor seiner Zwangsvollstreckung als allgemeiner Vollstreckungsvoraussetzung (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, §§ 794 Abs. 1 Nr. 1, 750 ZPO) der förmlichen Zustellung, die vor Beginn der Zwangsvollstreckung oder gleichzeitig mit dieser erfolgen muss (vgl. OLG Koblenz v. 21.5.2019 – 13 WF 399/19, juris Rn 4; OLG Brandenburg v. 15.12.2014 – 13 WF 298/14, juris Rn 5; Zöller/Feskorn, 34. Aufl. 2022, § 87 FamFG Rn 4; Möller, Gewaltschutz: Vergleich muss hinreichend bestimmt sein, in: FK 2019, 183; OLG Hamburg v. 8.2.2019 – 2 WF 19/19, juris Rn 19).
Fehlende Zustellung als Mangel
Zwar spricht der Wortlaut des § 87 Abs. 2 FamFG nur von der Zustellung des Beschlusses und erwähnt den Vergleich als Vollstreckungstitel nicht. Der Wortlaut des § 87 Abs. 2 FamFG ist aber aufgrund eines gesetzgeberischen Versehens zu eng gefasst und die Norm daher analog auch auf gerichtlich protokollierte Vergleiche anzuwenden (vgl. OLG Hamburg a.a.O., juris Rn 20; Keidel/Giers, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 87 Rn 12; OLG Frankfurt v. 2.11.2011 – 5 WF 151/11, juris Rn 3).
Zustellung ist nicht dokumentiert und war nicht gewollt
An einer Zustellung fehlt es vorliegend. Weder enthält die Akte des Verfahrens einen entsprechenden Nachweis einer Zustellung des Vergleichsprotokolls noch ist dort eine entsprechende Anordnung vermerkt. Auch im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens ist ausweislich des Akteninhalts keine Zustellung des Vergleichsprotokolls erfolgt. Das AG hat zudem in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 9.11.2023 ausdrücklich begründet, dass und warum es seiner Auffassung nach keiner förmlichen Zustellung bedurfte. Die Begründung des AG, einer förmlichen Zustellung habe es hier nicht bedurft, "da der Vergleich in Anwesenheit der Beteiligten wirksam geschlossen und der Androhungsbeschluss in deren Anwesenheit bekannt gegeben und damit wirksam" geworden sei, überzeugt schon deshalb nicht, weil die Wirksamkeit eines Vergleichsschlusses keine gesetzliche Grundlage dafür gibt, auf die förmliche Zustellung eines Titels als Voraussetzung für ...