Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (amtlich)
Die Versäumung einer Berufungsfrist ist dann nicht unverschuldet, wenn es der Prozeßbevollmächtigte des Rechtsmittelklägers unterlassen hat, die Berufungsschrift auf die vollständige Adresse des Berufungsgerichts nach den Angaben in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils zu kontrollieren (hier Angabe des Zustellpostamtes vor dem 01.07.1993) und der verspätete Eingang bei dem Berufungsgericht darauf zurückzuführen ist.
Normenkette
ArbGG § 66 Abs. 1, §§ 516, 519b; ZPO § 233
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Urteil vom 17.03.1993; Aktenzeichen 3 Ca 491/92) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in Gießen vom 17. März 1993 – 3 Ca 491/92 – wird unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Tatbestand
I. Das Arbeitsgericht Gießen hat die Beklagte mit einem am 17. März 1994 verkündeten Urteil – 3 Ca 491/92 (Bl. 23–30 d. A.) – verurteilt, an den Kläger 2.400,– DM netto einbehaltenen Lohn nebst 4 v. H. Zinsen seit dem 12. Oktober 1992 zu zahlen. Dieses Urteil ist der Beklagten zu Händen ihres Prozeßbevollmächtigten, wie inzwischen durch dessen Empfangsbekenntnis gem. § 212 a ZPO feststeht, am 7. April 1993 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte durch ihren Prozeßbevollmächtigten unter dem 5. Mai 1993 mit einem am 6. Mai 1993 bis 9.00 Uhr in (damals) 6301 Allendorf/Lumda zur Post gegebenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz war adressiert an das
„Landesarbeitsgericht
Adickesallee 36
W–6000 Frankfurt”
und ist am 10. Mai 1993 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen.
Nach gerichtlichem Hinweis auf diesen Sachverhalt hat die Beklagte unter Hinweis auf eine Postlaufzeit zwischen Allendorf/Lumda und Frankfurt am Main von einem Tag
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das erkennende Gericht hat eine Auskunft des Postamtes 1 Frankfurt am Main eingeholt (Bl. 51 d. A.).
Zu dem Inhalt des angefochtenen Urteils und der genannten Auskunft wird auf die angegebenen Blätter der Akte verwiesen.
Entscheidungsgründe
II. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in Gießen vom 17. März 1993 – 3 Ca 491/92 – ist gem. § 519 b ZPO ohne mündliche Verhandlung als unzulässig zu verwerfen, weil die Beklagte die Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils am 7. April 1993, §§ 516, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, die nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB, 222 Abs. ZPO, am Freitag, dem 7. Mai 1993 ablief, nicht eingehalten hat. Der Beklagten ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, einer Notfrist, zu gewähren, weil sie nicht ohne ihr Verschulden gehindert war, die Berufungsfrist einzuhalten, § 233 ZPO. Zwar trifft die Beklagte selbst kein Verschulden an der Nichteinhaltung der Berufungsfrist; sie muß sich aber gem. § 85 Abs. 2 ZPO die mangelnde Sorgfalt ihres Prozeßbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen.
Es ist zwar richtig, daß der Bürger auf die Einhaltung der üblichen Postlaufzeiten durch die Deutsche Bundespost vertrauen darf (BVerfG Beschl. v. 4.12.1979 – 2 BvR 276/76 – AP Nr. 73 zu § 233 ZPO unter IV). Ihn trifft dann kein Verschulden an dem verzögerten Zugang einer Postsendung, wenn die Verspätung nur auf verzögerlicher Postbeförderung beruht (BVerfG, a.a.O., unter IV). Hier beruhte der verspätete Eingang der Berufungsschrift bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht aber nicht nur auf einer übermäßigen, ungewöhnlich langen Postlaufzeit, mit der die Beklagte nicht zu rechnen brauchte, sondern auf der nicht der gesetzlichen Vorschrift entsprechenden Adressierung. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 PostO vom 16. Mai 1963 (BGBl. I S. 541) in der Fassung vom 22. März 1991 (BGBl. I S. 754) mußte die Anschrift neben dem Bestimmungsort die übrigen postalischen Leitangaben enthalten. Zu diesen gehörte auch die Angabe des für das Hessische Landesarbeitsgericht zuständigen Zustellpostamtes „18”. Wie die von dem Gericht eingeholte amtliche Auskunft beweist, hat die fehlende Angabe des Zustellpostamtes die Verzögerung der Zustellung um einen Tag über den 7. Mai 1993 hinaus verursacht, nicht, wie die Beklagte meint, die selbstverständlich unschädliche Angabe der Straße und Hausnummer statt des Postfachs. Auch wenn die Post den Brief in den Hausbriefkasten des Gerichts eingeworfen hätte, wäre das auf Grund der unvollständigen und damit fehlerhaften Anschrift erst am 8. Mai 1993 geschehen.
Die falsche Adresse beruht auf der Nachlässigkeit des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten. Der Anwalt ist für die korrekte Adressierung der Berufungsschrift selbst verantwortlich (BAG Beschl v. 8.6.1982 – 7 AZB 3/82 – AP Nr. 6 zu § 233 ZPO 1977 unter II 3; Urt. v. 2.6.1987 – 3 AZR 692/85 – AP Nr. 13 a.a.O. unter II 1). Dem steht der noch zu der bis zum 30. Juni 1979 geltenden Fassung des § 9 Abs. 5 ArbGG ergangene Be...