keine Angaben zur Rechtskraft
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsänderung. Interessenausgleich. Unterlassung. einstweilige Verfügung
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, vor der Durchführung des Unterrichtungs- und Beteiligungsverfahrens gemäß §§ 111, 112 BetrVG eine Betriebsänderung durchzuführen. Der Betriebsrat kann – ggf. mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung – vom Arbeitgeber die Unterlassung der Durchführung der Betriebsänderung vor Abschluss des Verfahrens verlangen. Eine einstweilige Unterlassungsverfügung ist regelmäßig nur zeitlich befristet zu erlassen. Die Dauer der Frist ist an dem Zeitraum zu orientieren, der bei konstruktiver Verhandlungsführung für den Abschluss des Beteiligungsverfahrens einschließlich einer Einigungsstelle über einen Interessenausgleich erforderlich sein wird (Bestätigung der bisherigen Kammerrechtsprechung).
Normenkette
BetrVG §§ 111-112; ZPO §§ 935, 940
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 21.06.2007; Aktenzeichen 19 BVGa 644/07) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 21. Juni 2007 – 19 BVGa 644/07 – unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen zum Teil abgeändert:
Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich wegen der geplanten Aufgabe der CAD- und SMBS-Produktentwicklung und gegebenenfalls bis zum Abschluss eines Einigungsstellenverfahrens zu diesem Thema, längstens aber bis 25. Juli 2007, betriebsbedingte Kündigungen aufgrund dieser geplanten Maßnahme gegenüber Arbeitnehmern des Betriebs A, auszusprechen.
Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird die Festsetzung eines Ordnungsgeldes von bis zum 25.000,00 EUR angedroht.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über Ansprüche des antragstellenden Betriebsrats auf Unterlassung der Anwendung einer Auswahlrichtlinie und des Ausspruchs betriebsbedingter Kündigungen vor dem Abschluss von Verhandlungen über einen Interessenausgleich.
Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin entwickelt und vertreibt Telefone und Telefonanlagen. Sie ist seit einigen Jahren Teil eines weltweit auftretenden Technologiekonzerns mit Hauptsitz in den B. Sie beschäftigt in Deutschland etwa 2.500 Arbeitnehmer. In ihrem C Betrieb beschäftigt sie mindestens 1.083 Arbeitnehmer. An der Betriebsstätte sind zwei weitere Konzernunternehmen mit etwa 150 Arbeitnehmern tätig. Die Belegschaften aller drei Unternehmen wählten bei der letzten Betriebsratswahl den Betriebsrat gemeinsam. Die Wahl wurde nicht angefochten. Die Arbeitgeberin hat zwischenzeitlich die Ansicht vertreten, es bestehe kein Gemeinschaftsbetrieb. Innerhalb des Betriebs unterhielt die Arbeitgeberin bisher zwei Bereiche, deren Aufgabe die Entwicklung neuer Produkte war. Funktion eines Bereichs mit 120 bis 150 Arbeitnehmern ist die Entwicklung von Großanlagen. Der für die Entwicklung kleinerer Geräte zuständige Bereich umfasst derzeit 85 Arbeitnehmer, davon 49 in der für Terminalentwicklung zuständigen Abteilung CAD und 36 in der für Telefonanlagenentwicklung zuständigen Abteilung SMBS. Die übrigen Arbeitnehmer des Betriebes sind für Vertrieb und Kundendienst zuständig.
Der Anteil der selbst entwickelten Produkte im Gesamtangebot der Arbeitgeberin lag bis vor etwa zweieinhalb Jahren bei über sechzig Prozent. Seitdem strebt die Muttergesellschaft eine weltweite Umstrukturierung der Produktentwicklung an. Die Entwicklung von Kleinanlagen wurde von der Arbeitgeberin auf eine indische Konzerngesellschaft übertragen. Seitdem betreiben die Abteilungen CAD und SMBS im Wesentlichen Bestandspflege. Vor diesem Hintergrund beschloss die Arbeitgeberin, zum 30. Juni 2007 in der Abteilung CAD 26 und in der Abteilung SMBS 30 Arbeitsplätze abzubauen. Dadurch sollen in der Abteilung SMBS drei von vier Gruppenleiterpositionen entfallen. Die Arbeitgeberin unterrichtete seit Februar 2007 den Betriebsrat, den im Unternehmen gebildeten Gesamtbetriebsrat und den Wirtschaftsausschuss über ihre Planungen. Sie legte dem Wirtschaftsausschuss mit Schreiben vom 12. Februar und 01. März 2007 Unterlagen vor und beantwortete einen umfangreichen Fragenkatalog des Wirtschaftsausschusses. Mit Schreiben vom 09. Mai 2007 stellte die Arbeitgeberin sich auf den Standpunkt, es sei keine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG geplant, bot dem Gesamtbetriebsrat aber gleichwohl Verhandlungen über einen freiwilligen Interessenausgleich und Sozialplan an. Am 25. Mai 2007 legte die D ein Gutachten über die Maßnahme gemäß § 111 Satz 2 BetrVG vor. Mit Schreiben vom 30. Mai 2007 verlangte der Betriebsrat seine Beteiligung nach § 111 ff. BetrVG.
Am 06. Juni 2006 verhandelten die Beteiligten über die Maßnahme. In dem Termin überreichte die Arbeitgeberin eine Mitarbeiterliste und ein Informationsschreiben gemäß § 17 Abs. 2 KSchG, demgemäß die zu entlassenden Arbeitnehmer mit Hilfe eines in dem Schreiben erläuterten Punkteschemas ausgewählt werden sollten. Am 08. Juni 2006 übersa...