Entscheidungsstichwort (Thema)
Reduzierung und Neuverteilung der jährlichen Arbeitszeit eines Flugzeugführers hinsichtlich Teilzeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit nach § 8 Abs. 4 TzBfG, wenn dem Teilzeitbegehren keine betrieblichen Gründe entgegenstehen.
2. Die Wahlmöglichkeiten des TzBfG können weder durch die in den Merkblättern des Arbeitgebers festgehaltenen betrieblichen Teilzeitmodelle noch durch einseitig von der Beklagten festgelegte Sperrzeiträume zu Lasten des Arbeitnehmers gemäß § 22 Abs. 1 TzBfG beschränkt werden.
3. Der Teilzeitwunsch eines Arbeitnehmers ist nicht gegenüber den Interessen anderer Arbeitnehmer abzuwägen.
Normenkette
TzBfG § 8 Abs. 4 S. 1, 2
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 03.04.2023; Aktenzeichen 2 Ca 6585/22) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 3. April 2023 - 2 Ca 6585/22 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Reduzierung der jährlichen Arbeitszeit des seit dem 19. Dezember 2005 für das beklagte Luftfahrtunternehmen als Flugzeugführer, derzeit als Seni- or First Officer ("SFO") auf dem Flugzeugmuster B747 mit Stationierungsort Frankfurt am Main, beschäftigten Klägers.
Mit Schreiben vom 1. November 2022 beantragte er bei der Beklagten die Verringerung und Neuverteilung seiner Arbeitszeit beginnend ab dem 1. März 2023 (Anlage K3). Diese lehnte das Teilzeitbegehren mit Schreiben vom 28. November 2022 ab (Anlage K4).
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, einer Reduzierung seiner jährlichen Arbeitszeit um 15,07 % auf 84,93 % der geschuldeten Vollarbeitszeit durch Freistellung vom 01.01.-05.01.; 14.02.-17.02.; 14.03.-17.03.; 20.04.-24.04.; 23.05.-27.05.; 27.06.-30.06.; 14.07.-18.07.; 01.08.-05.08.; 14.09.-17.09.; 12.10.-16.10.; 14.11.-17.11. und 27.12.-31.12. eines jeden Jahres, ab dem 01.03.2023 zuzustimmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat der Klage durch am 3. April 2023 verkündetes Urteil (- 2 Ca 6585/22 -) stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Teilzeitbegehren des Klägers stünden weder in Bezug auf die Reduzierung noch auf die gewünschte Verteilung betriebliche Gründe gemäß § 8 Abs. 4 TzBfG entgegen. Ein betriebliches Organisationskonzept, das der Reduzierung der Arbeitszeit des Klägers und der von ihm gewünschten Verteilung entgegenstehe, habe die Beklagte nicht dargelegt. Aber selbst wenn man der Ansicht sein wollte, dass in den monatsreduzierten und "verblockten" Teilzeitmodellen des Merkblattes für 2022/2023 ein betriebliches Organisationskonzept zu sehen sei, das andere Teilzeitmodelle ausschließe und das im Betrieb der Beklagten durchgeführt werde, stünden betriebliche Belange der Beklagten der von dem Kläger begehrten Reduzierung seiner Arbeitszeit und seinem Verteilungswunsch nicht entgegen. Denn die Prüfung der sog. dritten Stufe ergebe, dass das betriebliche Organisationskonzept und die ihm zugrundeliegende Aufgabenstellung nicht wesentlich beeinträchtigt werde.
Dem Verringerungsverlangen des Klägers stehe auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen. Der zeitliche Umfang der Verringerung der Arbeitszeit von 15,07 % indiziere keine unzulässige Rechtsausübung des Klägers; es handele sich ausgehend von einer Vollarbeitszeit nicht um eine unwesentliche Verringerung. Auch die zeitliche Lage der vom Kläger gewünschten Freistellung indiziere keinen Rechtsmissbrauch.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 24. April 2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. Mai 2023 Berufung eingelegt und diese am 26. Juni 2023 - einem Montag - begründet.
Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für unrichtig. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen und vertritt die Auffassung, es gebe im Bordbereich keine "Jahresarbeitszeit", die verringert werden könne, sodass der streitgegenständliche Teilzeitantrag als unzulässig zurückgewiesen werden müsse.
Das Arbeitsgericht sei zudem zu Unrecht davon ausgegangen, dem Teilzeitbegehren des Klägers stünden keine betrieblichen Gründe entgegen. Es existiere ein betriebliches Gesamtorganisationskonzept, bestehend aus einer jährlichen betrieblichen Vergaberichtlinie (Merkblatt Teilzeit für das Kalenderjahr 2023, im Folgenden: "Merkblatt Teilzeit", Anlage B2b), der sog. betrieblichen Eltern-Teilzeit (Anlage B3), der Betriebsvereinbarung OFF-Tage-Requestverfahren (Anlage B5), der BV Grundsätze zur Urlaubsvergabe (Anlage B6) und der durch sie festgelegten Sperrzeiträume für die betrieblichen Blockzeitmodelle (Anlage B7b). Dieses ineinandergreifende Konzept bezwecke eine gerec...