Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilzeitverlangen und entgegenstehender betrieblicher Grund i.S.d. § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG. Dreistufiges Prüfungsschema bei den Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG. Kein Begründungszwang für das Teilzeitverlangen. Rechtsmissbräuchliches Teilzeitverlangen. Kein rechtsmissbräuchliches Verhalten bei Teilzeitverlangen ohne Begründung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein entgegenstehender betrieblicher Grund liegt gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG vor, wenn die Umsetzung des Arbeitszeitverlangens die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht. Insoweit genügt es, wenn der Arbeitgeber rational nachvollziehbare, hinreichend gewichtige Gründe hat, der Verringerung der Arbeitszeit nicht zuzustimmen.
2. Im Rahmen des § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG ist zunächst zu prüfen, ob der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitgestaltung überhaupt ein betriebliches Organisationskonzept zugrunde liegt und - wenn das der Fall ist - um welches Konzept es sich handelt (erste Stufe). In der Folge ist zu untersuchen, inwieweit die aus dem Organisationskonzept folgende Arbeitsgestaltung dem Arbeitszeitverlangen tatsächlich entgegensteht (zweite Stufe). Schließlich ist das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen (dritte Stufe).
3. Gesetzeszweck und Wortlaut des § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG widersprechen einem Begründungszwang des Teilzeitverlangens. Da der Teilzeitantrag auf den unterschiedlichsten Motivationen basieren kann, ist die Darlegung der Gründe für die Teilzeit gegenüber dem Arbeitgeber nicht erforderlich.
4. Liegen im Einzelfall besondere Umstände vor, die darauf schließen lassen, der Arbeitnehmer wolle die ihm gemäß § 8 TzBfG zustehenden Rechte zweckwidrig dazu nutzen, unter Inkaufnahme einer unwesentlichen Verringerung der Arbeitszeit und der Arbeitsvergütung eine bestimmte Verteilung der Arbeitszeit zu erreichen, auf die er ohne die Arbeitszeitreduzierung keinen Anspruch hätte, kann dies die Annahme eines gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlichen Verringerungsverlangens rechtfertigen.
5. Es bestehen nicht bereits dann Indizien für ein rechtsmissbräuchliches Handeln, wenn der Arbeitnehmer seine Beweggründe für die von ihm begehrte Teilzeit nicht von vornherein darlegt. Dies folgt aus dem fehlenden Begründungszwang des Teilzeitantrags des Arbeitnehmers.
Normenkette
TzBfG § 8; BGB § 242; TzBfG § 2 Abs. 1, § 9a Abs. 2 S. 2; ATG § 3 Abs. 1 Nr. 3; BEEG § 15 Abs. 7 S. 1 Nr. 3; MTV Cockpitpersonal Nr. 5c § 5 Abs. 2, § 17e
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 14 Ca 5972/21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. Mai 2022 - 14 Ca 5972/21 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Reduzierung der jährlichen Arbeitszeit des seit dem 25. September 2008 für das beklagte Luftfahrtunternehmen als Flugzeugführer, derzeit als Senior First Officer auf dem Flugzeugmuster A330/340 mit Stationierungsort Frankfurt am Main beschäftigten Klägers.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2021 beantragte er bei der Beklagten die Verringerung und Neuverteilung seiner Arbeitszeit beginnend ab dem Jahr 2022 (Anlage K3). Diese lehnte das Teilzeitbegehren mit Schreiben vom 27. Juli 2021 ab (Anlage K4).
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, einer Reduzierung seiner jährlichen Arbeitszeit auf 88,76% der geschuldeten Vollarbeitszeit durch Freistellung jeweils vom 1.-31. Juli und 23. Dezember bis 1. Januar eines jeden Jahres, ab dem 1. Januar 2022, zuzustimmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat der Klage durch am 4. Mai 2022 verkündetes Urteil (- 14 Ca 5972/21 -) stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Teilzeitbegehren stünden keine betrieblichen Gründe iSd. § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG entgegen, da bereits nicht ersichtlich sei, welchem Organisationskonzept der Beklagten der streitgegenständliche Teilzeitantrag entgegenstehen soll. Die unternehmerische Aufgabenstellung der Beklagten sei der Flugbetrieb. Hierauf bezogen sei nicht dargetan, welches besondere Konzept die Beklagte für diese betriebliche Aufgabe habe und inwiefern hierdurch eine (bestimmte) Arbeitszeitregelung bedingt sei. Insofern stehe dem Verteilungswunsch - auch unter Berücksichtigung der relevanten Regularien der Beklagten - kein Organisationskonzept i.S.d. § 8 Abs. 4 TzBfG entgegen, sondern mögliche Urlaubsgewährungen anderer Mitarbeiter. Es bestehe auch dann kein Grund i.S.v. § 8 Abs. 4 TzBfG, wenn aufgrund der von der Beklagten angeführten „Vergaberichtlinien“/„Urlaubsvorgaben“ ein Organisationskonzept anzunehmen wäre. In diesem Fall sei jedenfalls auf der dritten Prüfungsstufe festzust...