Entscheidungsstichwort (Thema)
Reduzierung der jährlichen Arbeitszeit eines für das Luftfahrtunternehmen beschäftigten Flugzeugführers
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit nach § 9a TzBfG in Verbindung mit § 8 Abs. 4 TzBfG entspr., wenn dem Teilzeitbegehren keine betrieblichen Gründe entgegenstehen.
2. Die Wahlmöglichkeiten des TzBfG können weder durch die in den Merkblättern des Arbeitgebers festgehaltenen betrieblichen Teilzeitmodelle noch durch einseitig von der Beklagten festgelegte Sperrzeiträume zu Lasten des Arbeitnehmers gemäß § 22 Abs. 1 TzBfG beschränkt werden.
3. Der Teilzeitwunsch eines Arbeitnehmers ist nicht gegenüber den Interessen anderer Arbeitnehmer abzuwägen.
Normenkette
TzBfG § 9a Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 06.07.2022; Aktenzeichen 17 Ca 1039/22) |
Tenor
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 2022 - 17 Ca 1039/22 - wird zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Reduzierung der jährlichen Arbeitszeit des seit dem 1. Mai 2019 für das beklagte Luftfahrtunternehmen als Flugzeugführer, derzeit als First Officer (FO) auf dem Flugzeugmuster A320 mit Stationierungsort Frankfurt am Main beschäftigten Klägers.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2022 beantragte er bei der Beklagten die Verringerung und Neuverteilung seiner Arbeitszeit beginnend ab dem 1. September 2022 befristet auf fünf Jahre (Anlage K3). Diese lehnte das Teilzeitbegehren mit Schreiben 11. Februar 2022 ab (Anlage K4).
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, einer Reduzierung seiner jährlichen Arbeitszeit um 8,49% auf 91,51 % der geschuldeten Vollarbeitszeit durch Freistellung vom 16. Juli bis zum 15. August eines jeden Jahres für die Dauer von fünf Jahren, ab dem 1. September 2022 zuzustimmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat der Klage durch am 6. Juli 2022 verkündetes Urteil (-17 Ca 1039/22 -) stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Teilzeitbegehren stünden keine betrieblichen Gründe iSd. § 9a Abs. 2 S. 1 TzBfG entgegen. Es könne dabei offenbleiben, ob in den monatsreduzierten und verblockten Teilzeitmodellen der betrieblichen Regelungen Teilzeit 2022 ein andere Teilzeitmodelle ausschließendes Organisationskonzept zu sehen sei. Jedenfalls sei auf der dritten Prüfungsstufe festzustellen, dass durch die vom Kläger gewünschte Abweichung von der von der Beklagten vorgetragenen Arbeitszeitregelung und seinen Verteilungswunsch weder die in § 9a Abs. 2 S. 1 TzBfG genannten besonderen betrieblichen Belange noch das von der Beklagten behauptete betriebliche Organisationskonzept und die ihm zugrundeliegende Aufgabenstellung wesentlich beeinträchtigt würden.
Dem Verringerungsverlangen des Klägers stehe auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen. Nach diesen Grundsätzen sei es nicht erkennbar, dass der Kläger eine formale Rechtsposition nur dazu ausnutze, um eine andere Arbeitszeitverteilung durchzusetzen. Im Streitfall habe der Kläger seine Arbeitszeit in nicht unerheblichem Maße reduziert, nämlich um knapp 8,5%. Zwar möge das Teilzeitverlangen des Klägers auf im Flugbetrieb klassische Urlaubszeiten bezogen sein, an denen möglicherweise generell weniger Personal arbeite. In die einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände sei aber auch miteinzubeziehen, dass die Beklagte ausweislich ihres Merkblatts gerade keine festen Zeiträume aus der möglichen Teilzeitgewährung ausnehme. Die von ihr in Bezug genommenen "Sperrzeiträume" unterlägen vielmehr auch nach dem Vortrag der Beklagten jährlichen Änderungen. Bereits 2022 läge der vom Kläger begehrte Freistellungszeitraum teilweise außerhalb des seitens der Beklagten behaupteten Sperrzeitraums. Vor diesem Hintergrund erscheine der Verteilungswunsch des Klägers nicht als zweckwidrige Ausnutzung der Arbeitnehmerrechte aus §§ 9a, 8 TzBfG, mithin nicht als Rechtsmissbrauch.
Gegen dieses ihr am 11. Juli 2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. August 2022 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf rechtzeitigen Antrag hin bis zum 11. Oktober 2022 am 11. Oktober 2022 begründet.
Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für unrichtig. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen und vertritt die Auffassung, es gebe im Bordbereich keine "Jahresarbeitszeit", die verringert werden könne, sodass der streitgegenständliche Teilzeitantrag als unzulässig zurückgewiesen werden müsse.
Das Arbeitsgericht sei zudem zu Unrecht davon ausgegangen, dem Teilzeitbegehren des Klägers stünden keine betrieblichen Gründe entgegen. Es existiere ein betriebliches Gesamtorganisationskonzept, bestehend aus...