Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfungsmaßstäbe für den betrieblichen Geltungsbereich des VTV im Baugewerbe. Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen baugewerblicher Tätigkeiten. Fertigbauweise mit Fertigbauteilen als baugewerbliche Tätigkeit. Individuelle Herstellung und Einbau mobiler Trennwände keine baugewerbliche Tätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Der betriebliche Geltungsbereich des VTV hängt davon ab, ob in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Für die Beurteilung der Frage, ob in einem Betrieb überwiegend bauliche Leistungen erbracht werden, ist auf die überwiegende Arbeitszeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer in einem Kalenderjahr abzustellen (vgl. BAG 21. Oktober 2009 - 10 AZR 73/09 - Rn. 15, AP Nr. 313 zu § 1 TVG Tarifverträge Bau). Werden baugewerbliche Tätigkeiten in diesem Sinne erbracht, sind ihnen diejenigen Nebenarbeiten ebenfalls zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistung notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst und auch auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 15. Januar 2014 - 10 AZR 669/13 - Rn. 12, NZA 2014, 791).
2. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden, obliegt der klagenden Sozialkasse. Ihr Sachvortrag ist schlüssig, wenn sie Tatsachen vorträgt, die den Schluss rechtfertigen, der Betrieb des Arbeitgebers werde vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst. Nicht erforderlich ist, dass sie jede Einzelheit der behaupteten Tätigkeiten vorträgt (vgl. BAG 15. Januar 2014 - 10 AZR 415/13 - Rn. 20, EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 145). Liegt ein entsprechender Tatsachenvortrag vor, hat sich der Arbeitgeber hierzu nach § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO vollständig und wahrheitsgemäß und unter Angabe der maßgeblichen Tatsachen zu erklären.
3. Fertigbauweise ist eine Bauweise unter Verwendung in einer Fabrik hergestellter und auf der Baustelle zum Gesamtbauwerk zusammengefügter Bauteile wie Decke und Wände (vgl. BAG 2. Juli 2008 - 10 AZR 305/07 - Rn. 24, NZA-RR 2009, 426). Fertigbauteile sind Bauteile aus einem oder mehreren Bau- oder Werkstoffen, die serienmäßig oder zumindest in größerer Stückzahl in entsprechenden Betrieben oder Werken für den Einbau auf der Baustelle gefertigt werden und als komplette Einheit verschiedene Bauleistungen enthalten können. Fertigbauarbeiten i.S.v. § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 13 VTV setzen voraus, dass mit der Verwendung kompletter Baueinheiten die herkömmliche, konventionelle Arbeitsweise am Bau ersetzt wird (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 190/10 - AP Nr. 332 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).
4. Eine mobile Trennwand bezweckt, einen Raum nach Bedarf - ggf. mehrfach - zu teilen und aus ihm mehrere gleichzeitig nutzbare bzw. von der Größe angemessenere Räume zu schaffen. Gleichzeitig bezweckt eine vorhandene mobile Trennwand, mehrere Räume durch Öffnung der Trennung wieder zu vereinen. Für eine mobile Trennwand ist mithin von allein entscheidender Bedeutung, dass sie es ermöglicht, bei Bedarf kurzfristig und schnell Räume großflächig abzuschließen oder großflächig zu öffnen. Das Herstellen und anschließende Einbauen mobiler Trennwände stellt keine Fertigbauarbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 13 VTV dar. Bei der Tätigkeit der Beklagten handelt es sich auch nicht um Montagebauarbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 37 VTV oder um eine hiermit in Verbindung stehende Zusammenhangstätigkeit. Ungeachtet dessen sind die von der Beklagten hergestellten Trennwände keine Baufertigteile. Sie werden nicht serienmäßig oder zumindest in größerer Stückzahl auf Lager hergestellt, sondern werden jeweils aufgrund eines individuellen Auftrags nach konkreten Wünschen und Anforderungen des Kunden gefertigt.
Normenkette
VTV-Bau; SokaSiG § 7; VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. I; VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. II; VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. III; VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. IV
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 23.02.2018; Aktenzeichen 8 Ca 20/17) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 23. Februar 2018 - 8 Ca 20/17 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen an die Sozialkassen des Baugewerbes.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes berechtigt und verpflichtet.
Die Beklagte unterhält einen Betrieb, in welchem in den Kalenderjahren 2012 bis 2017 jährlich jew...