Entscheidungsstichwort (Thema)
Beleidigung. verhaltensbedingte Kündigung. Kündigungsschutzklage gegen eine verhaltensbedingte Kündigung wegen der Beleidigung von Vorgesetzten. Klage gegen eine verhaltensbedingte Kündigung wegen der Beleidigung von Vorgesetzten. Erforderlichkeit einer Abmahnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die ordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose. Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann davon ausgegangen werden, es werde auch künftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen.
2. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist.
3. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten.
Normenkette
KSchG §§ 1, 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 15.06.2011; Aktenzeichen 9 Ca 567/11) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juni 2011 - 9 Ca 567/11 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung sowie den Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Paketdienstleistungsbranche. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist bei ihr gebildet. Der am 18. Januar 1966 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 09. Juni 1995 bei der Beklagten als Sortierer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von zuletzt 17,5 Stunden beschäftigt. Wegen der weiteren Arbeitsbedingungen wird auf die Kopie des Arbeitsvertrages - Bl. 2 d. A. - ergänzend Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 3. August 2009 erstattete der Kläger Strafanzeige gegen insgesamt sechs Mitarbeiter der Beklagten - darunter Vorgesetzte und ein Betriebsratsmitglied - wegen Beleidigung und Körperverletzung. Ferner äußerte er sich zu den Vorwürfen im Laufe des Ermittlungsverfahrens mit Schreiben vom 3. August 2009, 18. September 2009, 17. März 2010 sowie in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 27. Juli 2010. Im Rahmen seiner Schilderungen bezeichnete er Herrn A als "Stasi", den Personaldirektor Herrn B als "Paten" und das Betriebsratsmitglied C als "Erfüllungsgehilfen" und "E-gesteuert". Seinen Vorgesetzten Herrn D nannte er "Psychoterrorist", "hinterhältig" und "niederträchtig". In seiner Strafanzeige (Seite 5 unten) wies der Kläger darauf hin, er sei von einem Journalisten einer großen Frankfurter Zeitung angesprochen worden, der in Sachen E recherchiert und der spitzgekriegt habe, dass das was in den letzten Monaten über Praktiken bei L, der T, der D B und der Drogeriekette M öffentlich geworden sei, verglichen mit E geradezu "Peanuts" seien. Er habe noch nichts gesagt, sei vorsichtig. Wie er auf ihn gekommen sei, wisse er nicht. Er vertraue lieber den Fachleuten der Staatsanwaltschaft. Wegen des weiteren Inhalts der Strafanzeige sowie der vom Kläger verfassten Schreiben wird auf die Kopien Bl. 58 bis Bl. 63 d. A. sowie Bl. 98 bis Bl. 106 d. A. ergänzend Bezug genommen. Am 2. November 2009 stellte die Beklagte den Kläger unter Fortzahlung seiner Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei, "um in der Schwebephase des Ermittlungsverfahrens eine Eskalation der Auseinandersetzung im betrieblichen Alltag vorzubeugen". Am 24. Februar 2010 und 9. November 2010 erhielt sie Akteneinsicht in die Ermittlungsakte. Das Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da nach der Sach- und Beweislage nicht mit einer Verurteilung der Beschuldigten zu rechnen war. Wegen des genauen Inhalts der Einstellungsentscheidung wird auf die Kopie Bl. 218 d. A. verwiesen. Gegen die nach Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene ordentliche Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage und begehrt seine Weiterbeschäftigung. Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird im Übrigen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils - Bl. 159 bis Bl. 167 d. A. - Bezug genommen.
In dem am 15. Juni 2011 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Dezember 2010 nicht aufgelöst worden ist und die Beklagte verurteilt, den Kläger vertragsgemäß als Sortierer bis zum r...