Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung. Wirksamkeit einer Schriftsatzkündigung. Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses. Treuwidrigkeit der Berufung des Arbeitgebers auf die Wirksamkeit der Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Arbeitnehmer sich stets darauf berufen, eine Kündigung sei ihm nicht zugegangen, jedenfalls habe er sie nicht zur Kenntnis genommen, so schließt dies eine Vertrauensbildung dahingehend aus, dass die Erklärung nicht ernst gemeint gewesen sei.
Normenkette
KSchG § 7; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Entscheidung vom 04.05.2011; Aktenzeichen 1 Ca 177/09) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 04. Mai 2011 - Aktenzeichen 1 Ca 177/09 - abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die wirksame Beendigung eines Arbeitsverhältnisses.
Die Beklagte stellt u.a. pharmazeutische Produkte aus humanem Plasma für Anwendungen in der Behandlung von immunologischen Erkrankungen und Gerinnungsstörungen her. In ihrem Betrieb in A sind weit mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Ein Betriebsrat ist gebildet.
Der am xx geborene, verheiratete und einem Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 01. April 1977 als Chemielaborant für die Beklagte tätig. Sein letztes monatliches Bruttogehalt belief sich auf ca. 3.900,00 €.
Im Jahre 2003 war der Kläger in Folge eines Arbeitsunfalls für längere Zeit arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom 20. Februar 2004 und 01. August 2005 stellte die Beklagte den Kläger im Zusammenhang mit einer zwischenzeitlich ausgesprochenen Kündigung unter Fortzahlung der vereinbarten Bezüge von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung frei.
In einer Vielzahl von arbeitsgerichtlichen Verfahren stritten und streiten die Parteien seit 2004 über die Wirksamkeit verschiedener seitens der Beklagten ausgesprochener Kündigungen sowie um Zahlungsansprüche aus dem (vermeintlich) beendeten Arbeitsverhältnis.
Unter anderem wandte sich der Kläger im Verfahren 1 Ca 256/06 Arbeitsgericht Offenbach - später fortgeführt unter dem Aktenzeichen 1 Ca 210/09 - gegen eine ordentliche Kündigung vom 22. September 2006 zum 30. Juni 2007.
In diesem Verfahren wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers durch das Arbeitsgericht am 22. Dezember 2006 ein 31 Seiten umfassender Schriftsatz der Beklagten übermittelt, der auf dem Deckblatt das Datum "15. Dezember 2006", auf allen anderen Seiten das offensichtlich zutreffende Datum "20. Dezember 2006 enthält (siehe Kopie Bl. 4 - 34 d.A.). Darin befand sich auf Seite 21 folgende Passage:
"Wie bereits dargelegt und unter Beweis gestellt wurde, wurde die negative Prognose weiter bestätigt. Aufgrund dessen kündigen wir hiermit unter Aufrechterhaltung der bisherigen Kündigungen, das bestehende Arbeitsverhältnis erneut zum nächstmöglichen Termin. Die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für einen technischen Mitarbeiter entfallen auch weiterhin."
Danach erklärte die Beklagte unter dem 16. Februar 2007 eine weitere außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung, die der Kläger erfolgreich im Verfahren 1 Ca 165/08 Arbeitsgericht Offenbach = 7 Sa 1930/09 Hess. LAG angriff, am 29. Juni 2007 eine weitere ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung über die Kündigung vom 16. Februar 2007 wies der Bevollmächtigte der Beklagten am 18. Mai 2009 darauf hin, dass im Schriftsatz vom 15. Dezember 2006 im Verfahren 7 Sa 256/06 eine Schriftsatz-Kündigung ausgesprochen worden und vom Kläger nicht angegriffen worden ist.
Mit seiner am 27. Mai 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage vom 25. Mai 2009 wendet sich der Kläger gegen diese Schriftsatz-Kündigung, die er für rechtsunwirksam hält.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigungserklärung könne nicht eindeutig als Erklärung der Beklagten zugeordnet werden, der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei nicht zum Ausspruch der Kündigung bevollmächtigt gewesen, die Kündigung sei dem Kläger nicht zugegangen. Aus der Form der Kündigung, die sich von allen anderen von der Beklagten ausgesprochenen Kündigungen unterscheide, folge, dass die Beklagte diese Kündigung nicht habe aussprechen wollen. Dass die Beklagte darüber hinaus selbst nicht an der Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung habe festhalten wollen, ergebe sich daraus, dass sie zeitlich später weitere Kündigungen erklärte und in der Anhörung des Betriebsrats zur späteren Kündigung vom 16. Februar 2007 nur auf die Kündigungen vom 29.06.2005 und vom 22. September 2006, nicht aber auf die hier umstrittene Schriftsatz-Kündigung hinwies.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Schriftsatzkündigung der Beklagten vom 15. Dezember 2006 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat ...