Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsgeld. „akzessorischer” Anspruch?

 

Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf ein Urlaubsgeld nach § 3 Tarifvertrag über Sonderzahlung des Hessischen Einzelhandels ist nicht „akzessorisch”.

 

Verfahrensgang

ArbG Marburg (Urteil vom 21.11.1997; Aktenzeichen 2 Ca 614/97)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerich Marburg vom 21. November 1997-2 Ca 614/97– abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 1.778,00 (i. Eintausendsiebenhundertachtundsiebzig 00/100 Deutsche Mark brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebende Nettobetrag seit dem 21. Oktober 1997 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um ein tarifliches Urlaubsgeld.

Zwischen den Parteien findet kraft Tarifbindung u. a. auch der Tarifvertrag über Sonderzahlung zwischen dem Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen Landesbezirk Hessen (im folgenden: TV) Anwendung. Die Klägerin befindet sich seit Oktober 1996 während ihres Arbeitsverhältnisses zur Beklagten im Erziehungsurlaub.

Sie hat die Auffassung vertreten, auch im Erziehungsurlaub Anspruch auf das tarifliche Urlaubsgeld zu haben und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 1.778,00 brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 21.10.1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, daß der tarifliche Anspruch auf ein Urlaubsgeld während des Erziehungsurlaubs mangels eines Urlaubsanspruchs nicht bestehe.

Mit am 21.11.1997 verkündetem Urteil hat das Arbeitsgericht Marburg – 2 Ca 614/97 – die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß die Klägerin, da sie während des Erziehungsurlaubs auch keinen Anspruch auf Erholungsurlaub geltend machen könne, keinen Anspruch auf das akzessorische tarifliche Urlaubsgeld habe. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird ergänzend auf Bl. 10-14 d.A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 12.02.1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.01.1998 Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel am 20.01.1998 begründet. Sie beruft sich für ihren Rechtsstandpunkt auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 06.09.1994 – 9 AZR 92/93 – (AP Nr. 50 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel).

Sie beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Marburg vom 21.11.1997, Az.: 2 Ca 614/97, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 1.778,00 brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie stützt sich dabei auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14.08.1996 – Az.: 10 AZR 70/96 – (AP Nr. 19 zu § 15 BErzGG).

Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt (Bl. 23 bzw. 27 d.A.).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 21.11.1997 – 2 Ca 614/97 – ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung des begehrten Urlaubsgeldes in unstreitiger Höhe gem. § 3 TV.

Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (AP Nr. 50 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel, mit Hinweisen auf die vorangegangene Rechtsprechung) sind Tarifvertragsparteien frei, Ansprüche auf Sonderzahlungen auch unter der Bezeichnung „Urlaubsgeld” zu begründen, die unabhängig davon bestehen, ob im Bezugszeitraum tatsächlich Arbeitsleistung erbracht wurde. Ob ein solches Urlaubsgeld tätigkeitsunabhängig – etwa zur Belohnung erwiesener Betriebstreue – oder aber in Abhängigkeit von dem Bestehen oder dem Umfang eines Urlaubsanspruchs zu zahlen ist („akzessorisch”), ist anhand des fraglichen Tarifvertrages zu ermitteln. Dabei ist vom Wortlaut der maßgeblichen Tarifvorschrift sowie dem tariflichen Gesamtzusammenhang auszugehen.

Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, daß das Urlaubsgeld gem. § 3 TV für die Zeit des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses unabhängig von etwaigen Urlaubsansprüchen oder deren Realisierbarkeit geschuldet wird. Dem Wortlaut des § 3 TV ist nämlich nicht zu entnehmen, daß das tarifliche Urlaubsgeld von der Höhe des Urlaubsanspruchs oder von dem Umfang der Arbeitsleistung abhängen soll. Zutreffend weist auch das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts darauf hin, daß § 3 TV – anders als § 4 TV – keine besonderen Voraussetzungen aufstellt, unter denen das Urlaubsgeld zu zahlen ist.

§ 3 Ziff. 2 a. TV, wonach im Urlaubsjahr eintretende und ausscheidende Arbeitnehmer Anspruch auf soviel Zwölftel des Urlaubsgeldes haben, wie sie im laufenden Urlaubsjahr volle Kalendermonate „tätig sind”, ist eine solche Einschränkung bzw. Anspruchsvoraussetzung nicht zu entnehmen. Diese Vorschrift regelt vielmehr lediglich die Anteiligkeit des Urlaubsgeldanspruchs für das Eintritts- und Austrittsjahr des Arbeitnehmers und f...

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