Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit eines von der Gewerkschaft der Lokomotivführer ausgerufenen Streiks
Leitsatz (amtlich)
1. Nach Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit ist es möglich, dass Gewerkschaften in einem gewerkschaftspluralen Betrieb Tarifforderungen für die gleiche Berufsgruppe erheben und zu deren Durchsetzung auch zum Arbeitskampf aufrufen.
2. Die Gefahr eines "Überbietungswettbewerbs" sowie "Dauerarbeitskampfs" kann ggf. im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Berücksichtigung finden. Dies erfordert aber einen hinreichend konkreten Vortrag; bloße abstrakte Befürchtungen reichen nicht aus.
3. Ein Streik ist nicht deshalb unzulässig, weil er sich auf einen Betrieb der Daseinsvorsorge bezieht.
4. Zum Prüfungsmaßstab für den Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Normenkette
BGB §§ 1004, 823; GG Art. 9 Abs. 3; ZPO §§ 935, 940
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 06.11.2014; Aktenzeichen 10 Ga 162/14) |
Tenor
Die Berufung der Verfügungskläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 06. November 2014 - 10 Ga 162/14 - wird auf Kosten der Verfügungskläger zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Verfügungsklägerinnen auf Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen durch die beklagte Gewerkschaft.
Bei der Verfügungsklägerin zu 1. handelt es sich um ein Unternehmen des DB-Konzerns, welches den Personenfernverkehr im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland betreibt. Die Verfügungsklägerin zu 2. erbringt Transportleistungen im Personennahverkehr. Die Verfügungsklägerin zu 3. transportiert bundesweit Güter auf Schienen. Die Verfügungsklägerin zu 4. betreibt den S-Bahn-Betrieb in Berlin, die Verfügungsklägerin zu 5. den S-Bahn-Betrieb in Hamburg. Alle Verfügungsklägerinnen gehören dem Arbeitgeberverband Agv MoVe an, der die im DB-Konzern geltenden Tarifverträge abschließt. Bei der Verfügungsbeklagten handelt es sich um die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL).
Die Verfügungsklägerinnen beschäftigen ca. 19.000 Lokführer, von denen ca. 25 % Beamte sind, daneben beschäftigen sie ca. 12.000 Zugbegleiter. Nach Angaben der Verfügungsklägerinnen erreicht die Verfügungsbeklagte bei den Lokomotivführern einen Organisationsgrad von etwa 80 %, bei den Zugbegleitern von etwa 30 %.
In dem Konzern der Verfügungsklägerinnen ist ebenfalls die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vertreten. Die EVG ist aus einem Zusammenschluss der bis dahin als Tarifgemeinschaft in Erscheinung getretenen Gewerkschaften TRANSNET und GDBA hervorgegangen. Im Bereich der Zugbegleiter weist sie einen höheren Organisationsgrad auf als die Verfügungsbeklagte.
Gemäß einem Grundlagentarifvertrag war die Zuständigkeit zwischen der Verfügungsbeklagten sowie TRANSNET/GDBA in der Vergangenheit im Wesentlichen dergestalt geregelt, dass die Verfügungsbeklagte Tarifverträge für die Lokführer und TRANSNET/GDBA für das übrige Zugpersonal abschließen sollte. Die Grundlagentarifverträge endeten am 30. Juni 2014 ohne Nachwirkung.
Mit Wirkung zum 1. Januar 2011 vereinbarte der Arbeitgeberverband Agv MoVe sowie die Verfügungsbeklagte einen Bundesrahmen-Lokomotivführertarifvertrag (kurz: BuRa-LfTV). In der Präambel heißt es hierzu unter anderem wie folgt:
"Die Vertragsparteien wollen mit dem folgenden Tarifvertragswerk die wichtigsten Qualifikations- und Arbeitsbedingungen sowie deren Mindeststandards für die Lokomotivführer im deutschen Eisenbahnverkehrsmarkt sicherstellen.
Sie wollen erreichen, dass alle am Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen vergleichbare Arbeits- und Lohnbedingungen in Form der in diesem Tarifvertrag festgelegten Minimalstandards einhalten müssen und der Wettbewerb nicht durch Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, der Entlohnung, der Arbeitssicherheit oder des Gesundheitsschutzes beeinflusst wird.
...
§ 3 Arbeitszeit
...
(5) Gemäß § 7 Abs. 1 Ziff. 3 i.V.m. § 5 Abs. 1 ArbZG ist es zulässig, die tägliche Ruhezeit, die der Arbeitnehmer nicht an seinem Dienstort verbringen kann, auf neun Stunden zu verkürzen (auswärtige Ruhezeit), wenn die Art der Arbeit dies erfordert und die Kürzung der Ruhezeit innerhalb eines betrieblich festzulegenden Ausgleichszeitraums ausgeglichen wird. Für Ruhezeiten am Dienstort gelten die Bestimmungen des § 5 Abs. 2 ArbZG mit der Maßgabe, dass der dort vorgeschriebene Ausgleich innerhalb von vier Wochen erfolgen muss.
..."
In § 4 BuRa-LfTV findet sich ferner eine Regelung zum Erholungsurlaub und zum Zusatzurlaub. Des Weiteren findet sich folgende Regelung:
"§ 14 Schluss- und Übergangsbestimmungen
...
(2) Dieser Rahmentarifvertrag tritt nur gleichzeitig mit einem Haustarifvertrag in Kraft, der diesen Rahmentarifvertrag ausdrücklich für anwendbar erklärt und die Anpassung bestehender haustarifvertraglicher Bestimmungen an diesen Rahmentarifvertrag regelt. Solche Haustarifverträge können
a) die Bestimmungen dieses Rahmentarifvertrages konkretisieren, ergänzen und die in diesem Rahmentarifvertrag festgelegten festen und variablen Entgeltbestandteile ...