Entscheidungsstichwort (Thema)
Streit im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Frage der Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen im Zugpersonenverkehr
Leitsatz (redaktionell)
1. In einem einstweiligen Verfügungsverfahren, mit dem ein Arbeitgeber die Untersagung eines Streiks der Gewerkschaft begehrt, gilt nicht von vornherein eine beschränkte Kontrolle des Gerichts auf eine "offensichtliche" Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfes. 2. Macht ein Arbeitgeber geltend, der Gewerkschaft fehle die Tariffähigkeit, so kann diesem Einwand in einem Vefahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der vorrangigen Regelung in § 97 ArbGG lediglich dann entsprochen werden, wenn die fehlende Tariffähigkeit offenkundig ist und der Gewerkschaft "auf der Stirn geschrieben steht".
Normenkette
ArbGG § 62 Abs. 2; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 08.01.2024; Aktenzeichen 3 Ga 3/24) |
Tenor
Die Berufung der Verfügungsklägerinnen gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. Januar 2024 - 3 Ga 3/24 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Frage der Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen im Zugpersonenverkehr ab Mittwoch, 10. Januar 2024, 02:00 Uhr bis Freitag, 12. Januar 2024, 18:00 Uhr.
Die Verfügungsklägerinnen sind Bahngesellschaften der A, einem internationalen Mobilitätsanbieter. An der Spitze der A in Deutschland sitzt die B, die als Holding der deutschen Gesellschaften fungiert. In Deutschland führt die B über ihre hundertprozentige Tochtergesellschaft C hauptsächlich Transportaktivitäten durch. Die Verfügungsklägerinnen gehören zu den Enkelgesellschaften der B.
Die Verfügungsklägerin zu 1. ist ein regionales Verkehrsunternehmen, das sich auf den Betrieb von Schienenpersonennahverkehr in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen spezialisiert hat. Die Verfügungsklägerin zu 2. ist in den östlichen Bundesländern aktiv und betreibt Schienenpersonennahverkehr auf dem E-Netz Mittelsachsen. Die Verfügungsklägerin zu 3. konzentriert sich auf den Betrieb von Schienenpersonennahverkehrsleistungen in Ostdeutschland. Die Verfügungsklägerin zu 4. ist im Rhein-Ruhr-Gebiet tätig und spielt eine wichtige Rolle im Schienenpersonennahverkehr dieser stark urbanisierten Region. Die Verfügungsklägerin zu 5. betreibt Schienenpersonennahverkehrsleistungen auf dem Netz der Mittelrheinbahn.
Bei der Verfügungsbeklagten handelt es sich um die D, die auch schon in der Vergangenheit Tarifverträge mit den Verfügungsklägerinnen abgeschlossen hat. Sie organisiert einen Teil der bei den Bahnunternehmen tätigen Lokomotivführer und des weiteren Zugpersonals sowie nunmehr auch einen geringen Teil anderer Arbeitnehmer.
Die Verfügungsbeklagte kündigte die mit den Verfügungsklägerinnen und der B geschlossenen Tarifverträge mit Schreiben vom 7. März 2023 zum 30. Juni 2023.
Mit verschiedenen Schreiben aus August 2023 teilte die Verfügungsbeklagte den Verfügungsklägerinnen die von ihr verfolgten Tarifforderungen mit (Anl. ASt. 3 bis 8).
Am 18. September und 13. Oktober sowie 5. Dezember 2023 verhandelten die Parteien, konnten aber eine Einigung nicht erzielen.
Im Vorfeld kam es am 21. Oktober 2023, 15. und 16. November 2023 sowie 7. und 8. Dezember 2023 zu Warnstreiks.
Am 6. Januar 2023 wurde die Leiharbeitsgenossenschaft E gegründet. Gemäß § 2 Ziff. 1 der Satzung bezweckt die Genossenschaft die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Belange der Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes. In § 2 Ziff. 3 heißt es:
"Der Gegenstand der Genossenschaft ist es, die Genossenschafts-Mitglieder mit dem Beschäftigungsschwerpunkt Schienenverkehr zu vereinen und deren Genossenschaftsanteile zur Verbesserung der materiellen und immateriellen Arbeits- und Lebensbedingungen zu verwalten und zukünftig weiter auszubauen. Dies erfolgt durch alle geeigneten Maßnahmen, insbesondere durch den arbeitsrechtlich zulässigen Einsatz von Arbeitnehmern im Wege der Arbeitnehmerüberlassung an Eisenbahnverkehrsunternehmen auf Basis von Tarifverträgen mit der im Eisenbahnmarkt anerkannten Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. Die dadurch erzielte Tarifbindung zielt darauf ab, der Negativentwicklung bei den sozialen Standards im Eisenbahnmarkt entgegenzuwirken. Das Personal-EntleihSystem wird sich an den Wohnorten der Mitarbeiter orientieren."
Mitglieder der Genossenschaft können nach § 3 Ziff. 2 der Satzung nur Gewerkschaftsmitglieder der Verfügungsbeklagten sein.
Die Geschäfte der E leitet der Vorstand. Der Vorstand besteht nach § 32 Ziff. 1 Satz 1 der Satzung aus zwei Mitgliedern, die zugleich Mitglieder der Genossenschaft und natürliche Personen sein müssen (Selbstorganschaft). Weitere Organe sind der Aufsichtsrat und die Generalversammlung. Die Generalversammlung wählt nach § 16 Ziff. 4 der Satzung die Mitglieder des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat hat nach § 27 Ziff. 1 der Satzung u.a. die Aufgabe, die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen. Gemäß § 30 Ziff....