Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung endet. Ansprüche aus einem Sozialplan
Orientierungssatz
1. Die Betriebsparteien haben bei Sozialplänen – wie auch sonst bei Betriebsvereinbarungen – den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beachten, dem wiederum der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde liegt. Macht ein Sozialplan den Anspruch auf die Sozialplanabfindung allein von der rechtlichen Beendigungsform des Arbeitsverhältnisses abhängig, ohne auf den Beendigungsgrund abzustellen, erfolgt eine Gruppenbildung, welche die Anwendung des Gleichheitssatzes ermöglicht und gebietet. Arbeitnehmer, die aufgrund eines vom Arbeitgeber veranlassten Aufhebungsvertrages oder einer von ihm veranlassten Eigenkündigung ausscheiden, sind grundsätzlich mit denjenigen gleich zu behandeln, deren Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt wird. Ursache für das Ausscheiden muss die vom Arbeitgeber vorgenommene Betriebsänderung sein. Dies ist sie auch dann, wenn der Arbeitgeber beim Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung die berechtigte Annahme hervorgerufen hat, mit der eigenen Initiative zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses komme er einer sonst notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers nur zuvor.
2. Zweck eines Sozialplans ist es gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die den Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder abzumildern. Dabei können die Betriebsparteien eine typisierende Beurteilung dahin gehend vornehmen, dass Arbeitnehmer, die „vorzeitig”, also zu einem früheren Zeitpunkt als durch die Betriebsänderung geboten, selbst kündigen, keine oder sehr viel geringere wirtschaftliche Nachteile drohen als den anderen Arbeitnehmern. Die Betriebsparteien können für Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis selbst „vorzeitig” kündigen eine geringere Abfindung oder auch den vollständigen Ausschluss eines Abfindungsanspruchs vorsehen, wenn sie berechtigterweise zu der Beurteilung gelangen, dass bei Arbeitnehmern, die vor einem bestimmten Zeitpunkt eine Eigenkündigung aussprechen, davon ausgegangen werden kann, dass diese bereits eine neue zumutbare Arbeitsstelle gefunden haben und damit keine oder nur geringe wirtschaftliche Nachteile erleiden. Bei der Einschätzung der den Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile, die nach Sinn und Zweck des Sozialplans auszugleichen oder zu mildern sind, haben die Betriebsparteien einen erheblichen Beurteilungs- und Ermessensspielraum.
Normenkette
BetrVG § 75 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; BetrVG § 112 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 23.07.2008; Aktenzeichen 7 Ca 2875/07) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 23. Juli 2008 – 7 Ca 2875/07 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch aus einem Sozialplan.
Der Kläger war vom 20. April 1990 bis zum 30. Juni 2007 als Referent für Vertriebsprodukte bei der Beklagten in deren Betrieb in … beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine Eigenkündigung des Klägers vom 16. Mai 2007.
Die Beklagte ist eine Lebensversicherungsgesellschaft innerhalb der …-Gruppe. Die … AG hat im Frühjahr 2006 die … Beteiligungs-GmbH übernommen und damit mehrere Lebensversicherungsgesellschaften, nämlich die Beklagte, die … Lebensversicherung AG und die … Konzern Lebensversicherung AG. Im Zuge der Umstrukturierung wurden diese Gesellschaften innerhalb des …-Konzerns unter dem Dach einer Zwischenholding, der … Leben Service Holding AG (HG-LSH) zusammengefasst. Zum Zwecke der weiteren Integration der …-Gesellschaften in den …-Konzern wurde diese Struktur auch auf betrieblicher Ebene weiterverfolgt. Die zentralen und dezentralen Vertriebsfunktionen der Beklagten und der … Lebensversicherung AG wurden mit Wirkung zum 01. Juli 2007 auf die zu diesem Zweck geschaffene Schwestergesellschaft, die … Leben Vertriebsservice AG (HG-LVS) mit Sitz in … übertragen. Die restlichen Aufgaben gingen auf die … Leben Betriebsservice GmbH (HG-LB), eine gemeinsame Tochtergesellschaft der Beklagten und der … Lebensversicherung AG, ebenfalls mit Sitz in …, über. Die Tätigkeiten der Beklagten und der … Lebensversicherung AG wurden sukzessive bis zum 31. Dezember 2007 nach … auf die neuen Gesellschaften, die … Leben Vertriebsservice AG und die … Leben Betriebsservice GmbH verlagert.
Aus Anlass der Umstrukturierungen gab es bereits am 19. Juli 2006 eine Betriebsversammlung im Betrieb … mit anschließender Mitarbeiterinformation. Seit August 2006 verhandelten die Konzernleitung und der Konzernbetriebsrat der … AG über die unternehmensübergreifenden betrieblichen Umstrukturierungen im Rahmen der Integration der …-Gesellschaf...