Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen Krankheit
Leitsatz (amtlich)
1. Das Arbeitsgericht braucht jede Partei, wenn es ihr fristgebundene Auflagen macht, nur einmal über die Folgen der Fristversäumung zu belehren, § 61 a Abs. 6 ArbGG, mit der Folge, daß diese Belehrung auch für alle späteren mit Fristen versehenen Auflagen wirkt.
2. Ein nicht in mündlicher Verhandlung ergangener Auflagenbeschluß, der eine Frist enthält, ist der betroffenen Partei zuzustellen, §§ 221, 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1-2; BGB § 611 Abs. 1, § 242; GG Art. 1-2; ArbGG § 61a Abs. 3-4, 6; ZPO § 329 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 08.08.1988; Aktenzeichen 5 Ca 56/88) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 8. August 1988 – 5 Ca 56/88 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung und einen Anspruch des Klägers auf tatsächliche Weiterbeschäftigung.
Der am 5. April 1967 geborene Kläger ist verheiratet. Seit dem 16. September 1987 ist er im Betrieb der Beklagten, die Ende Februar 1988 1.997 Arbeitnehmer beschäftigte, als Montagearbeiter in der Abteilung Endmontage 235 mit der Montage von Gelenkwellen (ein Modell ist Beistück zur Akte) beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 7. Oktober 1987 (AV, Bl. 4 u. 5 d.A.). Die Vergütung betrug nach Nr. IV AV zuletzt 16,22 DM brutto je Stunde. In Nr. XI AV war u. a. vereinbart, daß die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG von 6 Monaten erfüllt ist. Der Kläger war bereits seit dem 20. Mai 1986 bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Dieses frühere Arbeitsverhältnis endete nach Nr. 1 des gerichtlichen Vergleichs vom 7. Oktober 1987 – 3 Ca 215/87 Arbeitsgericht Offenbach (Bl. 36/36 R d. 3 Ca 215/87, Beiakte) – am 31. März 1987. Der Kläger erkrankte während des neuen Arbeitsverhältnisses bis zum Zugang der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 29. Februar 1988 zum 18. März 1988 am 29. Februar 1988 (Bl. 3 d.A.) wie folgt arbeitsunfähig:
- 23.11.1987 bis 7.12.1987: Fieberhafte Angina, grippaler Infekt,
- 8.12.1987 bis 18.12.1987: Akute Lumbalgie (zusammen 20 Arbeitstage);
- 20.1.1988 bis 22.1.1988: Erkältung (3 Arbeitstage);
- 25.1.1988 bis 29.2.1988: Kopfplatzwunde, Halswirbelsäulenschleudertrauma, Schulterzerrung nach unverschuldetem Autounfall (Verkehrsunfallanzeige Bl. 26. und 27. d.A., 26 Arbeitstage).
Letztere Arbeitsunfähigkeitsursache ist im Laufe des Rechtsstreits unstreitig geworden. Eine weitere krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vom 4.–6. November 1987 wegen einer Erkältung, die erstinstanzlich unstreitig war, hat der Kläger in der Berufungsinstanz bestritten. Für Kurzerkrankungen bis zu 3 Arbeitstagen verzichtet die Beklagte aufgrund einer internen Regelung auf die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Nach Zugang der Kündigung war der Kläger erneut vom 2. März 1988 bis 4. März 1988 an Grippe und Bronchitis und vom 14. März 1988 bis 18. März 1988 wegen Epistaxis (Nasenbluten) arbeitsunfähig erkrankt (Kopien der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Bl. 60 u. 61; Auskünfte der AOK für die Stadt und den Kreis Offenbach Bl. 57–59 d.A.; ärztliche Auskünfte der Ärzte Dr. …, Dr. … und Dr. … über die gestellten Diagnosen Bl. 96, 97 und 100 d.A.). Wahrend der Weiterbeschäftigung des Klägers nach Zustellung des angefochtenen Urteils wurde der Kläger u. a. vom 27. September bis 28. Oktober 1988 und wieder vom 9. November bis 13. Dezember 1988 wegen „Debilität mit erheblicher Affektinkontinenz” arbeitsunfähig (Attest des Dr. … Bl. 95 d.A.). Unter dem 17. Dezember 1987 wies die Beklagte den Kläger auf die wiederholte Arbeitsunfähigkeit hin und machte den Kläger darauf aufmerksam, daß das Beschäftigungsverhältnis bei anhaltender Tendenz gefährdet sei (Bl. 17 d.A.). Die Beklagte hat personelle Vorsorge für eine durchschnittliche Fehlquote von 10 v. H. getroffen.
Die am Montageband beschäftigten Mitarbeiter sind individuell an den einzelnen Arbeitsplätzen eingesetzt. Dies hat zur Folge, daß der Mitarbeiter am Montageband im Falle seines Fehlens durch einen anderen Arbeitnehmer, der an einem anderen Arbeitsplatz abgezogen wird, ersetzt werden muß. … Ist dies aus organisatorischen Gründen nicht möglich, hat dies einen Bandstillstand zur Folge. Mit Anhörungsbogen vom 19. Februar 1988 nebst Anlagen vom 22. Februar 1988 (Bl. 18–20 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Am 26. Februar 1988 teilte der Betriebsratsvorsitzende der zuständigen Personalsachbearbeiterin der Beklagten mit, daß der Betriebsrat die beabsichtigte Kündigung zur Kenntnis genommen habe und es sich um seine abschließende Stellungnahme handele. Der Kläger hat in der Gütverhandlung vom 18. April 1988 die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden und diese Erklärung am 18. November 1988 unter namentlicher Nennung der Ä...