Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des Tarifvertrages. Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 16.09.2010, 14 Sa 271/10, das vollständig dokumentiert ist. „Verschieben” einer Tariflohnerhöhung
Leitsatz (redaktionell)
§ 5 des Tarifvertrags über die Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen der hessischen Metallindustrie vom 17.11.2008 ermöglicht die Verschiebung einer Tariflohnerhöhung bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch durch nachträgliche Betriebsvereinbarung, wenn die Grenzen der Rückwirkung und die Grundsätze des Vertrauensschutzes beachtet werden.
Normenkette
BetrVG § 77; TVG § 1
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 20.01.2010; Aktenzeichen 4 Ca 344/09) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 20.01.2010 – 4 Ca 344/09 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob eine tariflich geregelte Lohnerhöhung zu einer Lohnerhöhung führt.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Berufungsklägerin (im Folgen Beklagte) wurde als A im Jahre B in C gegründet. Daher befand sich der Firmensitz zunächst in C. Im Jahre D wurde der Firmensitz nach E in F verlegt. Die Beklagte ist ein Hersteller von technischen Elektronikbauteilen für verschiedene Industriezweige.
Der Kläger und Berufungsbeklagte (im Folgenden Kläger) ist seit dem 01. Januar 1995 für die Beklagte als Arbeitnehmer in Vollzeit tätig.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob eine Tariferhöhung, die zwischen dem G und der H (im Folgenden Tarifvertrag) auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden ist. Auf den Inhalt des Tarifvertrages (Anlage B 4) wird Bezug genommen. Dieser Tarifvertrag sieht eine Erhöhung der Tariflöhne in zwei Schritten vor. In einem ersten Schritt sollte mit Wirkung ab dem 01. Februar 2009 eine Vorweganhebung des Grundlohns in Höhe von 2,1% erfolgen, in einem zweiten Schritt eine weitere Gehaltserhöhung mit Wirkung ab dem 01. Mai 2009. Nachdem die Beklagte an ihre Mitarbeiter die erste Stufe der Tariflohnerhöhung weitergegeben hat, ist streitig, ob dies auch für die zweite Stufe zu erfolgen hat.
Mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der A, schloss der damalige Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung unter dem 27. November 1963 ab, in dem es unter Ziffer 1 heißt:
„Betriebsüblich ist für das kaufmännische und für das gewerbliche Personal die Anwendung der jeweils gültigen Tarifverträge, die zwischen dem I und der H für die J abgeschlossen sind.”
Auf den Inhalt der Betriebsvereinbarung (Bl. 27 ff. d. A. 14 Sa 273/10) wird Bezug genommen. In einer weiteren Betriebsvereinbarung vom 14. März 1967 (Bl. 26 d. A. 14 Sa 273/10) heißt es unter Hinweis auf einen Nachtrag zur Betriebsvereinbarung vom 27. November 1963:
„Betriebsüblich ist für das kaufmännische und für das gewerbliche Personal die Anwendung der jeweils gültigen Tarifverträge, die zwischen dem K und der H für die J, Bezirksleitung L abgeschlossen sind.
Im Jahre 1999 wurde die Rechtsvorgängerin A von der Beklagten übernommen.
Im Arbeitsvertrag des Klägers, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 149 d. A.), heißt es unter Absatz 5:
„Wir vereinbarten einen Bruttomonatslohn von DM 4.000,–, der rückwirkend am Ende eines jeden Monats gezahlt wird. Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:
DM 3.296,00 laut Tarif in Gruppe HL 08, DM 704,00 freiwillige Zulage, DM 4.000 brutto Monatslohn.
Wir behalten uns vor, die in Ihrem Entlohn enthaltene übertarifliche Zulage gegen eine evtl. Erhöhung des Tariflohns aufzurechnen.”
In einem Begleitschreiben zum Arbeitsvertrag vom 19. Dezember 1994 (Bl. 147 d. A.) heißt es:
„Eine evtl. zu erwartende tarifliche Erhöhung für 1995 ist damit abgegolten.”
In dem Zeitraum ab 1995 richtete die Beklagte an den Kläger jeweils Schreiben im Anschluss an Tariflohnvereinbarungen der M und wies den Gesamt-Monatslohn unter Berücksichtigung der tariflichen Regelung in der Gruppe HL 08 sowie der freiwilligen Zulage aus. Des Weiteren enthält die Mitteilung eine Zahlung eines sogenannten Lohn- und Gehaltsausgleichs.
In den Jahren 2005 bis 2008 kam es zwischen den Parteien zu Differenzen über die Weitergabe von Lohnerhöhungen. Die Beklagte gab diese Lohnerhöhungen zum Teil erst nach einer beim Arbeitsgericht anhängigen Klage weiter, wobei diese Verfahren durch Vergleich beendet wurden und im Vergleichstext jeweils nur die Zahlung der Erhöhung enthalten ist.
Streitig ist zwischen den Parteien die Zahlung der Lohnerhöhung von 2,1% für die Monate Mai bis Oktober 2009 in Höhe von zuletzt 56,76 Euro brutto monatlich. Für diese zweite Stufe sieht der Tarifvertrag in § 5 eine Öffnungsklausel vor. Diese lautet wie folgt:
„Durch freiwillige Betriebsvereinbarung kann der Beginn der Tarifperiode entsprechend der wirtschaftlichen Lage des Betriebes vom 01. Mai 2009 bis längstens zum 01. Dezember 2009 verschoben werden. In diesem Falle gelten die Lohn- und...