Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Rechtskraft eines unzulässigen Teilurteils über eine außerordentliche Kündigung. Ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Datenbankadministrators wegen Nichtbefolgung von Anweisungen und Abfassens einer kritischen E-Mail an einen Vorgesetzten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses kann nicht darauf gestützt werden, dass der Arbeitnehmer eine ihm zugewiesene Aufgabe zu spät in Angriff genommen habe, wenn dieser unwidersprochen darlegt, dass er wegen der Übertragung zusätzlicher Arbeiten und wegen Abwesenheit und eines gesetzlichen Feiertages erst am letzten Tag der ihm gesetzten Frist mit der Aufgabe habe beginnen können.

2. Eine an einen Vorgesetzten gerichtete E-Mail, wonach dieser irreführende Anweisung erteile, nicht ausreichend Zeit auf die Definition der Aufgaben verwende und hoffe, dass die Dinge schief gingen, ist von der Meinungsfreiheit gedeckt und ebenfalls nicht geeignet, einen Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung darzustellen.

 

Orientierungssatz

Einzelfall einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage gegen eine ordentliche Kündigung, nachdem zuvor ein unzulässiges erstinstanzliches Teilurteil über eine aus dem gleichen Grund ausgesprochene außerordentliche Kündigung ergangen und rechtskräftig geworden war. Es konnte offen bleiben, ob die Kammer an die im Teilurteil unzutreffend getroffene Feststellung des Vorliegens einer Vertragsverletzung gebunden ist, weil die Kündigung dann jedenfalls wegen der vorzunehmenden Interessenabwägung unwirksam war.

 

Normenkette

KSchG § 1; GG Art. 5 Abs. 1; ZPO § 301; GG Art. 5 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 29.04.2015; Aktenzeichen 1 Ca 275/13)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 29. April 2015 - 1 Ca 275/13 - wird einschließlich des Auflösungsantrags auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen des dem Schlussurteil zugrunde liegenden Verfahrens noch über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung und um Weiterbeschäftigung.

Der am xx. xx 1955 geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit 7. März 2011 bei der Beklagten als Datenbankadministrator mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von mindestens € 5.833,00 brutto beschäftigt, die genaue Höhe ist streitig.

Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des Teilurteils vom 26. Februar 2014 und den des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat der gegen die außerordentliche Kündigung vom 1. November 2013 gerichteten Klage durch Teilurteil vom 26. Februar 2014 stattgegeben und das Verfahren hinsichtlich der aus den gleichen Gründen ausgesprochenen ordentlichen Kündigung und der begehrten Weiterbeschäftigung durch im Termin verkündeten, nicht mit Begründung und Rechtsmittelbelehrung versehenen Beschluss ausgesetzt. Es hat sein Teilurteil damit begründet, dass zwar die E-Mail des Klägers vom 7. Oktober 2013 eine Vertragspflichtverletzung begründe, die außerordentliche Kündigung jedoch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße, weil keine so schwere Verletzung des Betriebsfriedens vorliege, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Beklagten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar sei. Wegen der Begründung wird im Übrigen auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Teilurteils verwiesen.

Die Beklagte hat gegen das Teilurteil Berufung eingelegt, diese jedoch vor der erkennenden Kammer in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen, nachdem die präjudizielle Wirkung des Teilurteils betreffend die ausgesetzte Kündigungsschutzklage gegen die ordentliche Kündigung und dessen Unzulässigkeit erörtert worden waren.

Mit Schlussurteil vom 29. April 2015 hat das Arbeitsgericht Darmstadt auch der gegen die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. November 2013 gerichteten Klage und dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben und den nun gestellten hilfsweisen Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Es hat insofern ausgeführt, die Verspätungen des Klägers am 1. und 11. Oktober 2013 seien nicht als Kündigungsgrund geeignet, weil sie ausweislich der Betriebsratsanhörung bereits abgemahnt seien. Das Verhalten des Klägers im Hinblick auf die Weisung der Beklagten vom 1. Oktober 2013 stelle angesichts seiner E-Mail vom 4. Oktober 2013 weder eine beharrliche Arbeitsverweigerung dar noch könne darin eine absichtliche Nichtbefolgung einer Weisung gesehen werden. Selbst wenn man von einer unvollständigen und/oder fehlerhaften Aufgabenerledigung durch den Kläger ausgehe, sei die Kündigung aus diesem Grund unverhältnismäßig, weil einschlägige Abmahnungen nicht vorlägen. Hinsichtlich des Verhaltens des Klägers betreffend die E...

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