Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Sozialhilfe. Höhe des seit dem 1.1.2023 geltenden Regelsatzes für einen alleinstehenden erwachsenen Leistungsberechtigten. Fortschreibung der Regelbedarfsstufen. Verfassungsmäßigkeit. Vorliegen eines Anordnungsgrundes
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmung der Höhe der Leistungen für den Regelbedarf durch den Gesetzgeber im Rahmen des SGB XII ab 1.1.2023 entspricht grundsätzlich den Anforderungen an eine hinreichend transparente, jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigende Bemessung der Leistungshöhe.
2. Mit den seit 1.1.2023 geltenden Regelungen der Regelbedarfsfortschreibung ist ein nach dem bisherigen Erkenntnisstand geeigneter Mechanismus normiert, der auf aktuell deutliche Preiserhöhungen in die Zukunft gerichtet reagieren kann. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Anpassungsmechanismus nicht den verfassungsrechtlichen Maßstäben an die Regelleistungsbemessung genügt.
3. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes iS von § 86b Abs 2 SGG genügt der Umstand allein, dass Grundleistungen der sozialen Sicherung betroffen sind, nicht, vielmehr müssen durch eine spätere (Hauptsache-)Entscheidung nicht mehr korrigierbare, irreparable Schäden drohen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 8. März 2023 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die am 23. März 2023 eingegangene Beschwerde des Antragstellers gegen den ihm am 10. März 2023 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts mit dem (sinngemäßen) Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 8. März 2023 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen in Höhe von weiteren 126 Euro monatlich seit 3. Januar 2023 auszuzahlen,
ist zulässig und angesichts des aktuellen, bis zum 31. August 2023 laufenden Bewilligungsabschnitts (vgl. Bescheid vom 19. Dezember 2023 [Bl. 3155 der Verwaltungsakte des Antragsgegners - VA] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2023 [Bl. 3296 VA]) insbesondere auch gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 Euro übersteigt.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Zutreffend hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
Diese Anforderungen sind im Lichte der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu konkretisieren (zum Folgenden: BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 - 1 BvR 1453/12 -, juris, Rn. 10 m.w.N.). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt. Übernimmt das einstweilige Rechtsschutzverfahren allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, müssen die Gerichte bei den Anforderungen an die Glaubhaftmachung zur Begründung von Leistungen zur Existenzsicherung in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG Rechnung tragen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung haben sich am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegeh...