Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Beitragszuschlag für Kinderlose. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Der Gesetzgeber hat mit Einführung des § 55 Abs 3 SGB 11 die Vorgaben des BVerfG vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 = BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 verfassungskonform umgesetzt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.07.2012; Aktenzeichen B 12 P 2/12 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 21. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit des Beitragszuschlages für Kinderlose in der sozialen Pflegeversicherung streitig.

Der Kläger ist als Mitglied der Beklagten in der sozialen Pflegeversicherung versichert. Mit Schreiben der Beklagten vom 27. November 2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sich der Beitragssatz für Kinderlose in der Pflegeversicherung mit Wirkung vom 1. Januar 2005 um 0,25 % erhöhe, während der Beitragssatz für Eltern unverändert bleibe. Der Kläger wurde gebeten, gegebenenfalls einen Nachweis für seine Elterneigenschaft vorzulegen. Mit Bescheid vom 10. Januar 2005 erhob die Beklagte einen um 0,25 Beitragspunkte erhöhten Beitrag zur Pflegeversicherung des Klägers.

Mit Schreiben vom 21. Februar 2005 forderte der Kläger die Rückzahlung des nach dem Kinder-Berücksichtigungsgesetz (KiBG) im Januar 2005 erhobenen Mehrbetrages in Höhe von 8,82 € und forderte die Beklagte auf, künftig die Erhebung des Mehrbetrages zu unterlassen. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Februar 2005 mit, eine Rückerstattung des Beitragszuschlages sowie ein Unterlassen der künftigen Erhebung sei nicht möglich. Da Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung hätten, seien die Beiträge auch künftig zu erheben, auch wenn der Kläger Widerspruch gegen den Beitragsbescheid erhoben habe. In der Sache sei eine Klärung durch das Bundesverfassungsgericht zu erwarten.

Auf die Sachstandanfrage seiner Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 16. Juli 2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2009 als unbegründet zurück. Die streitige Erhöhung beruhe auf eine Änderung des § 55 Sozialgesetzbuch 11. Buch (SGB XI) zum 1. Januar 2005. Der Gesetzgeber habe mit dieser Änderung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 - Az. 1 BvR 1629/94 reagiert. Das Bundesverfassungsgericht habe in diesem Urteil ausgeführt, dass es mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz nicht vereinbar sei, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuten und erziehen und damit neben dem Geldbetrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystem leisteten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag belastet werden wie die Mitglieder ohne Kinder.

Dagegen hat der Kläger am 14. Januar 2010 Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben.

Zur Klagebegründung hat der Kläger vorgetragen, er sei 1966 geboren und habe weder ein Kind noch ein Pflege- oder Stiefkind. Der seit 1. Januar 2005 geltende erhöhte Beitragssatz für kinderlose Versicherte bestrafe und diskriminiere Kinderlose und verstoße gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Auch entlaste die Gesetzesänderung nicht die Familien, wie es die Intention der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 3. April 2001, Az. 1 BvR 1629/94) gewesen sei. Denn die vom Gesetzgeber durchgeführte Erhöhung der Beiträge für kinderlose Versicherte entspreche nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Vielmehr habe der Gesetzgeber nach den Vorgaben Bundesverfassungsgerichts eine Beitragsreduktion der Eltern während ihrer Erwerbsphase und keine Beitragserhöhung kinderloser Versicherter vorsehen müssen. Darüber hinaus habe die Entlastung der Eltern nach der Anzahl ihrer Kinder erfolgen müssen, da als Differenzierungsgrund der generative Beitrag der Versicherte mit Kindern berücksichtigt werden sollte. Der Ausgleich einer Beitragsentlastung bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens setze höhere Beiträge für kinderlose Versicherte nicht voraus. Zudem machte der Kläger eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Versicherten geltend, die ebenfalls ohne Kinder nicht verpflichtet seien, den Beitragszuschlag zu leisten (Wehr- und Zivildienstleistende, Bezieher von Arbeitslosengeld II). Die ungerechtfertigte Besserstellung und sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung führe zu signifikant höheren Beiträgen für die benachteiligten Versicherten. Auch sei es nicht gerechtfertigt, dass Eltern selbst dann keinen Beitragszuschlag zahlten, wenn keine Aufwendungen mehr für ihre Kinder anfielen und auch keine Erziehungs- und Betreuungsleistungen mehr zu erbringen seien. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts seien die Eltern im Anschluss an die Betreuungs- und Erziehungsphase der Kinder und auch mit Beendigung der elterlichen Erw...

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