Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfall der fiktiven Terminsgebühr bei Erledigung einer Untätigkeitsklage

 

Leitsatz (amtlich)

I. Nach der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG in der ab 1. August 2013 geltenden Fassung entsteht eine fiktive Terminsgebühr, wenn das Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ohne mündliche Verhandlung nach angenommenem Anerkenntnis endet. Die Vorschrift gilt nicht bei übereinstimmender Erledigungserklärung.

II. Damit ein Anerkenntnis angenommen werden kann, muss die Klage zulässig und jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugeständnisses, dass der mit der Klage erhobene Anspruch besteht, auch begründet sein.

III. Die Erledigung des Rechtsstreits setzt nach § 101 Abs. 2 SGG die Annahme des Anerkenntnisses voraus. Diese Erklärung kann auch sinngemäß erfolgen.

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Untätigkeitsklage liegt nur dann ein die fiktive Terminsgebühr nach der Nr. 3106 S. 1 Nr. 3 VV RVG begründendes angenommenes Anerkenntnis im Rechtssinn vor, wenn auf die Untätigkeitsklage der begehrte Bescheid erlassen und die Klage daraufhin für erledigt erklärt wird, die Frist des § 88 Abs. 1 bzw. 2 SGG abgelaufen ist und ein zureichender Grund für eine verspätete Entscheidung nicht vorgelegen hat.

2. Die fiktive Terminsgebühr beträgt nach der Nr. 3106 S. 2 VV RVG 90 % der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr, dementsprechend 270.- €. .

 

Normenkette

VV RVG Nr. 3106 S. 1 Nr. 3, S. 2, Nr. 1008; SGG § 101 Abs. 2, § 54 Abs. 1, § 88 Abs. 1-2, § 193

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 1. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

In dem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Gießen (S 28 AS 131/15) stritten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbescheides.

Am 27. Januar 2015 erhob der Beschwerdegegner als Prozessbevollmächtigter des Klägers B. vor dem Sozialgericht Gießen Klage gegen das Jobcenter Wetterau (Beklagter). Die Klage richtete sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 26. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2015, der eine Sanktion wegen eines Meldeversäumnisses des Klägers enthielt. Gleichzeitig beantragte der Beschwerdegegner für das Klageverfahren die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung. Mit Beschluss vom 10. März 2015 bewilligte das Sozialgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe ab 27. Januar 2015 unter Beiordnung des Beschwerdegegners. Nachdem im gleichzeitig laufenden ER-Verfahren S 28 AS 130/15 ER ein Befundbericht der Ärztin Dr. C. vorgelegt worden war, hob der Beklagte den Bescheid vom 26. November 2014 auf. Mit Schriftsatz vom 18. März 2015 teilte der Beklagte dies dem Gericht mit und gab an, das Verfahren S 28 AS 130/15 könne damit für erledigt erklärt werden. Am 19. März 2015 erklärte der Beschwerdegegner für den Kläger den Rechtsstreit ebenfalls für erledigt. Laut Schlussverfügung vom 19. März 2015 wurde der Rechtsstreit als durch übereinstimmende Erledigungserklärung für in der Hauptsache erledigt ausgetragen.

Mit Beschluss vom 8. Juli 2015 entschied das Sozialgericht gemäß § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), dass die Beteiligten für das Verfahren S 28 AS 131/15 einander keine Kosten zu erstatten haben.

Mit Kostenrechnung vom 24. Juli 2015 beantragte der Beschwerdegegner, die Vergütung für seine Tätigkeit als Prozessbevollmächtigter im Verfahren S 28 AS 131/15 auf insgesamt 535,50 Euro festzusetzen. Er machte dabei u.a. eine Terminsgebühr nach der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) in Höhe von 280,- Euro geltend. Der Urkundsbeamte berechnete die Vergütung mit insgesamt 202,30 Euro. Hierzu führte er unter dem 18. August 2015 aus, eine Terminsgebühr nach der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG sei nicht angefallen. Der Rechtsstreit sei durch übereinstimmende Erledigungserklärung ohne Termin erledigt worden.

Gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten erhob der Beschwerdegegner am 21. August 2015 Erinnerung. Er vertrat die Auffassung, der Rechtsstreit sei durch angenommenes Anerkenntnis beendet worden. Eine fiktive Terminsgebühr sei damit angefallen. Mit Beschluss vom 1. Februar 2016 änderte das Sozialgericht die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten ab und verpflichtete den Beschwerdeführer, dem Beschwerdegegner über die bewilligten 202,30 Euro hinaus weitere 333,20 Euro zu gewähren. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, es habe kein Termin vor dem Sozialgericht stattgefunden, sondern es sei eine fiktive Terminsgebühr auf Grund eines angenommenen Anerkenntnisses angefallen. Diese Gebühr betrage 90 % der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr ohne Berücksichtigung einer Erhöhung nach der Nr. 1008 VV RVG. Bei einer zu gewährenden Verfahrensgebühr in Höhe von 300,- Euro sei damit eine fiktive Terminsgebühr in Höhe von 270,- Euro entstanden. Zwar habe der Beschwerdegegner die vorgegebene Gebührenhöhe um 10,- Euro überschritten; dieser Betrag weiche jedoch nur in ge...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge