Verfahrensgang

SG Fulda (Urteil vom 30.06.1994; Aktenzeichen S-1b/U-348/91)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 30. Juni 1994 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die dem Kläger entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger streitet um die Entschädigung einer Kehlkopfkrebserkrankung als bzw. wie eine Berufskrankheit (BK).

Nach mehrmonatiger Heiserkeit wurde beim Kläger im Juni 1986 in der HNO-Klinik der Städtischen Kliniken F. eine Kehlkopftumorerkrankung festgestellt. Im Anschluß an die am 8. Juli 1986 erfolgte Tumoroperation wurde der Kläger radiologisch nachbestrahlt. Der Bericht der Klinik vom 5. November 1986 diagnostiziert ein supraglottisches ulceriertes Kehlkopfcarcinom der Mittellinie unter Beteiligung der Epiglottis, einen Zustand nach radikaler Neck dissection und Mundbodenausräumung rechts, eine supraglottische Kehlkopf-Teilresektion mit primärer Defektdeckung sowie Tracheotomie.

Der Kläger zeigte am 19. Januar 1990 der Beklagten an, daß er die Kehlkopfkrebserkrankung auf seine Tätigkeit bei der Firma F. vom 16. Juli 1973 bis 7. August 1986 zurückführe. Er habe dort ohne Schutz- oder Absaugvorrichtungen in der Schreinerei und auch außerhalb des Betriebes auf Montage Asbestzementplatten bearbeiten müssen. Nach der Mitteilung der F. vom 18. April 1990 war der Kläger vom 16. Juli 1973 bis 30. November 1982 als Schreiner und Monteur im Werk S. beschäftigt, das anschließend stillgegelegt wurde. Bis 26. Juli 1986 war er im Verkaufslager der Firma in S. tätig und vom 27. Juni 1986 bis 30. Mai 1988 arbeitsunfähig erkrankt, bevor er aus der Firma ausschied. Die Beklagte zog die Akte des Klägers vom Versorgungsamt F. bei und ließ sodann das arbeitsmedizinisch-internistische Gutachten von Prof. L. und Dr. Le. vom 15. November 1990 mit einem radiologischen Zusatzgutachten des Dr. S. vom 15. Oktober 1990 erstatten. Röntgenologisch sowie computertomographisch konnten sie beim Kläger keine für eine Asbestose typischen pulmonalen oder pleuralen Strukturveränderungen feststellen. Lungenfunktionsanalytisch bestand kein Hinweis auf eine restriktive Ventilationsstörung. Die derzeit verfügbaren epidemiologischen Studien machten nach Meinung der Sachverständigen einen Kausalzusammenhang zwischen der Entstehung von Kehlkopfcarcinomen und einer Asbestexposition nicht wahrscheinlich. Zusätzlich sei festzustellen, daß beim Kläger, der angegeben habe, von 1945 bis 1986 ca. 50 bis 60 Zigaretten täglich geraucht zu haben, ein erheblicher Nikotinabusus und somit einer der Hauptrisikofaktoren für die Entstehung einer derartigen Erkrankung bestanden habe. Nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den erheblichen außerberuflichen Risikofaktoren könne eine Anerkennung des Kehlkopfcarcinoms nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht empfohlen werden. Nachdem der Landesgewerbearzt sich mit Stellungnahme vom 12. März 1991 dieser Beurteilung angeschlossen hatte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 27. April 1991 fest, nach dem Gutachten des Prof. L. sei die Krebserkrankung des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen, auch nicht im Sinne einer Verschlimmerung. Die Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. Ziffer 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) seien ebensowenig erfüllt wie diejenigen des § 551 Abs. 2 RVO.

Der Kläger legte am 21. Mai 1991 Widerspruch ein. Die Beklagte machte die Literaturstudie des Dr. Hartung zur Frage des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Kehlkopfkrebs und Asbeststaubbelastung vom 10. April 1991 zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Die Studie war zu dem Ergebnis gelangt, daß die publizierten Forschungsergebnisse zur Streitfrage widersprüchlich seien und insbesondere aus dem Bereich der Bundesrepublik Deutschland keine gesicherten epidemiologischen Daten vorlägen, weshalb Forschungsbedarf bestehe. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 1991 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch des Klägers zurück, da nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft ein Ursachenzusammenhang zwischen Kehlkopfkrebs und beruflicher Asbeststaubbelastung nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne.

Der Kläger legte am 18. September 1991 vor dem Sozialgericht Fulda (SG) Klage ein und vertrat weiterhin die Auffassung, seine Tumorerkrankung sei auf die bei der Firma F. durchgeführte und mit einer erheblichen Asbeststaubbelastung verbundenen Arbeit zurückzuführen.

Das SG ließ das hals-nasen-ohrenärztliche Aktengutachten des Prof. W. und des Dr. M. HNO-Universitätsklinik H., vom 4. November 1992 erstatten, das die Erkrankung des Klägers als Plattenepithelcarcinom beurteilt. Der Alkohol- und Tabakkonsum des Klägers habe zu einem exzessiv erhöhten Kehlkopfkrebsrisiko beim Kläger beigetragen. Es sei von einer 12- bis 13jährigen Asbestfeinstaubexposition im Zusammenhang mit se...

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