Verfahrensgang

SG Marburg (Urteil vom 19.01.1999; Aktenzeichen S 7 P 424/98)

 

Tenor

  • Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. Januar 1999 wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
  • Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der zu gewährenden Verhinderungspflege.

Der Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert und im Übrigen beihilfeberechtigt. Er begehrte mit Schreiben vom 1. Juli 1998 für seinen am 26. Mai 1988 geborenen schwerpflegebedürftigen Sohn die anteilige Übernahme der Kosten für Behandlungspflege ohne Begrenzung auf 100,00 DM pro Tag. Der Kläger erhält für seinen Sohn Leistungen von der privaten Pflegeversicherung (Pflegestufe III) nach § 1 Nr. 6c der allgemeinen Versicherungsbedingungen für private Pflegeversicherung, Bedingungsteil-MB/PPV 1996 (MB/PPV 1996). Die Eltern pflegen ihren Sohn R…-L… F… rund um die Uhr und beabsichtigten in der Zeit vom 17. bis 21. August 1998 Urlaub zu machen und ihren Sohn in die Pflege des Vereins für behinderte Menschen e.V. – M… – in M… zu geben. Der Tagespflegesatz beträgt dort 255,00 DM. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 7. Juli 1998 mit, dass die Erstattung der Kosten unter Zugrundelegung eines Tageshöchstsatzes von 100,00 DM erfolge.

Am 29. Juli 1998 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben und die Übernahme der Kosten für vom 17. bis 21. August 1998 durchgeführte Verhinderungspflege ohne Begrenzung auf 100,00 DM pro Tag beantragt. Er hat die Ansicht vertreten, dass dem § 39 Elftes Buch des Sozialgesetzbuches – Pflegeversicherung – (SGB XI) bzw. § 4 A MB/PPV 1996 nicht entnommen werden könne, dass bei Inanspruchnahme der Verhinderungspflege von weniger als vier Wochen pro Kalenderjahr eine Kostenerstattung von maximal 100,00 DM pro Tag in Betracht komme, da der Höchstbetrag von 2.800,00 DM anteilmäßig auf einen täglichen Satz von 100,00 DM zu kürzen sei. Das ergebe sich nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes. Bei der Auslegung dürfe auch nicht § 37 Abs. 2 SGB XI herangezogen werden, da Sinn und Zweck nicht auf die Verhinderungspflege übertragbar sei. Die Beklagte hat die Kürzung mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes für vereinbar angesehen, da eine unterschiedliche Behandlung von einerseits Beziehern von Pflegegeld, bei denen eine Kürzung ausdrücklich vorgesehen sei (§ 4 A3 MB/PPV 1996 bzw. § 37 Abs. 2 SGB XI) und den Beziehern von Verhinderungspflege nicht gewollt gewesen sein könne. Im Übrigen werde nach der Beihilfeverordnung des Bundes genauso verfahren. Die Beklagte hat ausdrücklich bekräftigt, dass sie auch in Zukunft so verfahren werde.

Mit Urteil vom 19. Januar 1999 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit der Verhinderungspflege vom 17. bis 21. August 1998 unter Zugrundelegung eines Tagessatzes von 255,00 DM noch den Restbetrag von 155,00 DM zu zahlen. Ferner hat es festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, für den über den Kläger mitversicherten schwerstpflegebedürftigen Sohn R…-L… F… in Zukunft Verhinderungspflege gemäß § 39 SGB XI bzw. § 4 A 6 MB/PPV 1996 i.V.m. PV Ziffer 3 jährlich auf entsprechenden Antrag bis maximal 2.800,00 DM und maximal 28 Tage, jedoch nicht begrenzt auf 100,00 DM je Tag, zu zahlen. In den Entscheidungsgründen hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klage sei zulässig, da der beschrittene Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben sei. Ferner sei das Sozialgericht Marburg auch örtlich zuständig. Die isolierte Leistungsklage sei ohne Widerspruchsverfahren möglich, da die Beklagte nicht befugt sei, Verwaltungsakte zur Regelung der zwischen ihr und dem Versicherten bestehenden Rechtsverhältnisse zu erlassen. Ferner sei der Kläger klagebefugt, da ihm allein die Ansprüche aus der Pflegeversicherung zustünden; anders als in der gesetzlichen Pflegeversicherung sei nicht der Sohn des Klägers im Rahmen der Familienversicherung allein klagebefugt, vielmehr liege hier eine beitragsfreie Mitversicherung der Kinder vor. Das Rechtsschutzbedürfnis sei gegeben, da der Klageanspruch von der Beklagten endgültig abgelehnt wurde. Die Klage sei auch begründet. Der Kläger habe Anspruch auf Übernahme der Kosten der durch den Verein M… durchgeführten Verhinderungspflege ohne Begrenzung auf 100,00 DM pro Tag. Die Voraussetzungen für einen Anspruch im Sinne des § 39 SGB XI seien erfüllt, da die Pflegeperson wegen Erholungsurlaubes Verhinderungspflege beanspruchen könne. Hier sei Ersatzpflege durch den gewerbsmäßigen Verein M… durchgeführt worden. Streitig sei lediglich die Höhe der Leistungsgewährung. Aus dem Wortlaut der Vorschrift sei eine Kürzung der Höchstleistung auf anteilig 100,00 DM pro Tag nicht zu entnehmen. Bei den Leistungen nach § 39 Satz 1 und 3 SGB XI handele es sich um eine abschließende Regelung. Eine planwidrige Regelungslücke sei nicht erkennbar. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus...

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