Entscheidungsstichwort (Thema)
Fremdrentenrecht. deutscher Sprach- und Kulturkreis. überwiegender Sprachgebrauch. Mehrsprachigkeit. Jiddisch
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zugehörigkeit zum nach § 17a FRG vorausgesetzten deutschen Sprach- und Kulturkreis verlangt im Regelfall den überwiegenden Gebrauch der deutschen Sprache im persönlichen Lebensbereich, der in erster Linie die Sphäre von Ehe und Familie und Freundeskreis umfasst.
2. Mehrsprachigkeit steht der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis nicht entgegen, allerdings muss der Versicherte die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und im persönlichen Bereich überwiegend gebraucht haben. Lässt sich dies nicht abgrenzen, ist die Anerkennung nach § 17a FRG ausgeschlossen.
3. Die jiddische Sprache hat sich zwar aus dem Mittelhochdeutschen entwickelt, es handelt sich aber um eine eigenständige Sprache, von deren Gebrauch nicht auf die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis geschlossen werden kann.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 25. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch darauf hat, dass seine in der ehemaligen Sowjetunion sowie deren Nachfolgestaaten zurückgelegten Beitragszeiten deutschen Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) gleichgestellt werden.
Der Kläger, der 1937 in K. geboren wurde, ist jüdischer Abstammung. Von 1944 bis 1954 besuchte er nach seinen Angaben eine allgemeinbildende Schule, von 1954 bis 1960 besuchte er die Medizinische Hochschule in M., wo er am 7. Juli 1960 als Diplomarzt ausschied. Es folgten weitere berufliche Qualifikationen in der Fachrichtung Neurologie sowie Psychiatrie.
Am 15. März 1993 zog er aus dem K., Moskauer Gebiet, in die Bundesrepublik Deutschland als sog. Kontingentflüchtling zu und bezog in der Bundesrepublik Deutschland Sozialhilfeleistungen. Seit dem 28. März 2001 besitzt er laut Einbürgerungsurkunde vom 7. Februar 2001 (Bl. 39 Verwaltungsakte) die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach seinem Zuzug absolvierte er einen Sprachlehrgang “Deutsch für Aussiedler und Asylberechtigte, Fach- und Führungskräfte„, der sechs Monate umfasste und dessen erklärtes Ziel es war, den Teilnehmern fundierte sprachkundliche Kenntnisse der modernen deutschen Umgangssprache in Wort und Schrift zu vermitteln (Bl. 107 Verwaltungsakte).
Seit dem 1. September 2002 bezieht der Kläger von der Beklagten eine Altersrente.
In seinem Kontenklärungsantrag vom 23. Oktober 2001 gab der Kläger an, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges zusammen mit seinen Eltern in sowjetisch-polnischen Grenzgebieten der Stadt D. gewohnt zu haben. Seine Familie und er seien 1941 vom Frontgebiet nach Osten in das Gebiet bei G. evakuiert worden. Hierbei habe der gesamte Hausstand zurückgelassen werden müssen, was auch Dokumente, Zeugnisse, Bücher oder sonstige Gegenstände, die Auskunft über die deutsche Abstammung seiner Familie geben könnten, betroffen habe. Des Weiteren stellte der Kläger am 8. November 2001 den Antrag auf Anerkennung von Zeiten nach dem FRG. Im entsprechenden Fragebogen (Bl. 44 Verwaltungsakte) gab er in der Rubrik “Muttersprache„ “jiddisch„ an, in der darauffolgenden Sparte “persönlicher Sprachgebrauch im Herkunftsgebiet„ gab er “jiddisch, deutsch„ an. Als allgemeine Umgangssprache im Herkunftsgebiet nannte er “russisch„. In der hierzu gesondert vorgesehenen Rubrik “überwiegender Sprachgebrauch bei Mehrsprachigkeit„ gab er im persönlichen Bereich “jiddisch, deutsch„ an, im Beruf “russisch„. Ebenso bei den Angaben zur Person des Vaters (Bl. 45 Verwaltungsakte) gab er als Muttersprache “jiddisch, deutsch„ an, das Gleiche hinsichtlich seiner Mutter. Der persönliche Sprachgebrauch im Herkunftsgebiet habe beim Vater “jiddisch, deutsch, russisch und ukrainisch„ umfasst, bei der Mutter “jiddisch, deutsch, russisch„. Auf die Frage, ob “jiddisch„ gesprochen wurde, gab er an, dass im Familienkreis und unter Freunden dies der Fall gewesen sei.
Des Weiteren gab der Kläger ab, dass seine Eltern miteinander sowohl jiddisch als auch deutsch, letzteres aber nur wenn keine Zeugen anwesend gewesen seien, besonders während der Kriegs- und Nachkriegszeit, gesprochen hätten. Sowohl sein Vater als auch seine Mutter seien in der Lage gewesen, deutsche Bücher, auch in gotischer Schrift, zu lesen und hätten ihm dies beigebracht. Nach dem Krieg hätten seine Eltern ihre deutsche Abstammung nach Möglichkeit geheim gehalten, weil sie damals Diskriminierungen und Verfolgungen befürchtet hätten.
Durch Bescheid vom 28. Mai 2002 stellte die Beklagte den Versicherungsverlauf fest und lehnte dabei eine Anerkennung der von dem Kläger in der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ab. Dies begründete sie damit, dass weder die Voraussetzungen des § 17a FRG noch die des § 20 des Gesetzes zur Reg...